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Urban Landscape
06. August 2020

This is The End

Blick auf den Londoner Trafalgar Square: Seit einer Woche ist dort die dystopische Monumental-Skulptur der britischen Medienkünstlerin Heather Phillipson gelandet. Die Plastik übertragt visuelle Daten des zentralen Platzes live ins Netz und erinnert damit an Überwachungs- und Sicherheitssysteme, deren Präsenz im urbanen öffentlichen Raum heute fast allgegenwärtig geworden ist

Mit Spannung ist sie schon erwartet worden: Die neue Skulptur auf dem „Fourth Plinth“, einem prominenten Steinquader vor dem Eingang der National Gallery am Trafalgar Square. Seit 1998 wird darauf in einer Open-Air-Ausstellung Gegenwartskunst präsentiert. Bislang haben Elmgreen & Dragset, David Shrighley, Hans Haacke, Antony Gormley, Marc Quinn, Katharina Fritsch und zuletzt Michael Rakowitz den Platz für jeweils zwei Jahre bespielt. 

Die 13. Ausgabe stammt nun von der britischen Multimedia-Künstlerin Heather Phillipson. Ihre Arbeit „The End“ setzt dem „Fourth Plinth“ die neun Meter hohe und auch neun Tonnen schwere Skulptur einer gigantischen  Sahnehaube auf. Zwei überdimensionierte Biester sitzen auf der Plastik: eine riesige Fliege, die ihren Saugrüssel zum Trinken in die Sahne taucht und eine dicke Kirsche mit Drohne, die wiederum visuelle Daten vor Ort aufsaugt und einen Blick auf Londons zentralen Platz direkt freigibt. Denn die Kamera überträgt das Filmmaterial live ins Netz. Im Gegensatz zu den Überwachungskameras, die den Platz einkreisen, findet Phillipsons Live-Übertragung allerdings nicht rund um die Uhr statt.

Phillipson genießt es, Perspektiven zu wechseln. Was empfinden wir, wenn wir von Kameras beobachtet werden? Ihre Kunst arbeitet mit Verfremdungseffekten. „Nichts ist das, was es zu sein scheint: Es ist beunruhigender. Als ich ‘The End’ entworfen habe, wollte ich sowohl die politischen als auch die physischen Aspekte des Trafalgar Square berücksichtigen“, erklärt Heather Phillipson. „Ich fühle mich geehrt, eine Arbeit für einen so zentralen öffentlichen Ort zu schaffen, und das Werk nun in seiner vollen Größe und im finalen Kontext zu sehen – eine Umgebung, in der die Architektur und ihre Bevölkerung an einer unproportionierten Landschaft teilhaben, in der das Banale und unsere Koexistenz mit anderen Lebensformen zu apokalyptischer Größe aufgeblasen wird.“ Mit ihrem Werk erinnert die Künstlerin an Überwachungs- und Sicherheitssysteme, deren Präsenz im urbanen öffentlichen Raum heute fast allgegenwärtig geworden ist, und den Kampf um Partizipation.

Esther Leslie, Professorin für Politische Ästhetik am Birkbeck College der University of London – sie beschäftigt sich mit der Poetik der Wissenschaft und den Überschneidungen von Politik und Technologie – hat sich intensiv mit dem Werk von Phillipson auseinandergesetzt. Sie schreibt in der aktuellen Monografie der Künsterlin, dass „This is the End“ den klimatischen Notstand, das Ende des Wohlfahrtsstaates, den Tod der Demokratie, den Mord an der Wahrheit, das Ende der Privatsphäre heraufbeschwört. Was Phillipson also zu beklagen scheint, ist nicht nur ein Ende, sondern viele. 

Nachzuhören ist auch die Sound-Collage „Volta“. Diese Arbeit setzt sich mit kosmischem Störungen und die Verbindungen zwischen den Lebewesen und Phänomenen des Universums auseinander. Bis Frühjahr 2022 ist Phillipson Skulptur am Trafalgar Square zu sehen.

Text: Ute Strimmer

Titelbild: Die 13. Ausgabe der „Fourth Plinth“ am Londoner Trafalgar Square stammt von der britischen Multimedia-Künstlerin Heather Phillipson. Foto: © Heather Phillipson
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