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Architecture
04. Februar 2020

Dünner, leichter, flexibler

Das Institut für Baukonstruktion der TU Dresden erforscht den Einsatz von Dünnglas in der Architektur. Ein Gespräch mit Institutsdirektor Christian Louter

NXT A: Wie kam die Forschungsgruppe auf die Idee, Dünnglas auf seine Einsetzbarkeit in der Architektur zu untersuchen?
Christian Louter: In der Elektronikindustrie wird Dünnglas erfolgreich für Displays und Touchscreens von Mobiltelefonen und anderen Geräten verwendet. Das auf diesen Geräten verwendete Glas ist typischerweise sehr dünn (weniger als 1 mm) und damit wesentlich flexibler und leichter als normales Fensterglas (typischerweise mehr als 4 mm). Außerdem ist es aufgrund eines chemischen Verfestigungsprozesses etwa zehn Mal stärker als normales (unverfestigtes) Fensterglas. Diese besonderen Eigenschaften haben die Forschung in Dresden dazu inspiriert zu untersuchen, wie dünnes Glas in der Architektur eingesetzt werden kann.

NXT A: Was macht Dünnglas so interessant für einen Einsatz in der Architektur?
Christian Louter: Es gibt zwei wesentliche Vorteile von Dünnglas. Der erste ist das geringe Gewicht. Dank der geringen Dicke kann eine Materialreduzierung von mehr als 75 Prozent im Vergleich zu herkömmlichen Fensterverglasungen erreicht werden. Daraus resultieren sehr leichte und materialeffiziente Verglasungen, deren Herstellung, Transport und Montage mit weniger Energie- und Kraftaufwand umsetzbar sind. Schlankere Rahmen- und Tragkonstruktionen sind denkbar, da weniger Material für die Unterkonstruktion der Verglasung benötigt wird. Insgesamt könnte die Verwendung von Dünnglas in der Architektur somit zu weniger Material- und Energieeinsatz führen.

NXT A: Und der zweite Vorteil?
Christian Louter: Als zweiter Vorteil ist die Flexibilität von Dünnglas zu nennen. Dank der hohen Festigkeit und der geringen Dicke lässt sich das Dünnglas leicht in architektonisch ansprechende Krümmungen biegen. Das Biegen von Dünnglas kann einfach bei Raumtemperatur durch Kaltbiegen erfolgen. Teure Warmbiegetechniken sind nicht erforderlich. Außerdem ist die optische Qualität einer kalt gebogenen Glasscheibe höher als die einer warm gebogenen. Diese Eigenschaften machen Dünnglas höchst interessant für die Herstellung von gebogenen Fassaden- und Dachverglasungen.

NXT A: Gibt es auch Nachteile, wie etwa die aufwendige Herstellung?
Christian Louter:Das Dünnglas ist derzeit noch recht teuer und noch nicht in den gleichen Abmessungen wie normales Fensterglas erhältlich. Auch der anschließende chemische Verfestigungsprozess ist mit Kosten und einigen Einschränkungen bei den Abmessungen verbunden. Die Glasindustrie arbeitet jedoch daran, die verfügbaren Scheibengrößen auf architektonisch interessante Dimensionen zu bringen. Es bleibt zu hoffen, dass die Preise sinken werden, sobald das Dünnglas in der Architektur Verwendung findet.

NXT A: Was wären die materialtechnischen Voraussetzungen, um es letztendlich in der Fassadengestaltung einsetzen zu können?Christian Louter: Die aktuelle Forschung in Dresden entwickelt derzeit zwei Konzepte für den Einsatz von Dünnglas in Fassaden. Das erste Konzept nutzt die Flexibilität des Dünnglases für die Gestaltung adaptiver Dünnglasfassaden. Diese adaptiven Dünnglasfassaden können ihre Form in Abhängigkeit von äußeren Parametern anpassen. So kann sich das Glas beispielsweise biegen, um Lüftungsöffnungen zu schaffen oder um sich gegen Windlasten abzustützen. Das zweite Konzept zielt darauf ab, leichte und dennoch steife Dünnglasverbundplatten zu schaffen. Diese Paneele bestehen aus dünnen äußeren Glasscheiben und einem innenliegendem 3D-gedruckten Kern, die zur Erzielung einer Verbundwirkung miteinander verklebt werden. Der 3D-gedruckte Kern versteift das flexible Dünnglas. Er ist in Aufbau und Struktur optimiert, das Muster kann architektonisch ansprechend gestaltet und auch zur Tageslichtlenkung genutzt werden.

NXT A: Sind Glasfassaden oder große Glasflächen – vor dem Hintergrund steigender Temperaturen – noch zeitgemäß?
Christian Louter: Bei großen Ganzglasfassaden sind die solaren Wärmeeinträge erheblich und müssen im Hinblick auf den Kühlenergiebedarf berücksichtigt werden. Der Wärmegewinn kann gezielt durch Beschichtungen auf dem Glas oder – effektiver – durch den Einsatz von außenliegenden Verschattungen oder durch entsprechende Überstände reduziert werden. Die im Rahmen der aktuellen Forschung zu entwickelnden Dünnglas-Fassadenkonzepte können auch im Hinblick auf den Energiehaushalt positiv wirken. Die adaptive Dünnglasfassade bietet zusätzliche Lüftungsöffnungen; der 3D-gedruckte Kern in den Dünnglasverbundelementen kann zusätzlich verschatten.

Das Interview führte Uta Baier.

Prof. Dr. Christian Louter ist seit April 2019 ist Direktor des Institutes für Baukonstruktion in Dresden. Foto: Mijke Bressers
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