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Urban Landscape
10. Februar 2020

Städte für Menschen

Kopenhagen, Amsterdam und Groningen machen es seit langem vor. Mit grünen Mobilitätskonzepten gelingt gutes Leben in der Stadt. Auch in Stau-Städten wie München versuchen Bürgerinnen und Bürger immer wieder mit Aktionen wie der monatlichen Fahrradveranstaltung Critical Mass die Verantwortlichen zum Umdenken zu bewegen

„Das Fahrrad war eigentlich nie meine Spezialdisziplin,“ sagt Architekt und Stadtplaner Jan Gehl. „Aber ich wollte immer eine gute Stadt für die Menschen schaffen. Und eine gute Art der Fortbewegung ist nun einmal das Fahrradfahren.“ Deshalb wollte er nie Städte für Autos, sondern „Städte für Menschen“ schaffen und beschreibt in seinem gleichnamigen Buch am Beispiel Kopenhagen, wie innerhalb von vierzig Jahren die Verkehrswende in der dänischen Stadt gelang.

Im Gegensatz zu den meisten anderen Großstädten begann man in Kopenhagen bereits in den 1970ern, die Weichen für eine radfreundliche Stadt zu stellen. Hinter Kopenhagens Vorreiterrolle als eine der umweltfreundlichsten Städte der Welt steckt eine konsequente Verkehrspolitik und Stadtplanung. Unter dem früheren Bürgermeister und dem jetzigen Direktor der dänischen Radfahrer-Föderation Klaus Bondam wurde die verkehrspolitische Wende seit 2006 verstärkt vorangetrieben. Die Liste der erreichten Positiv-Effekte ist lang: bessere Luft, weniger CO2, mehr Ruhe und zahlreiche Begegnungsorte für ein lebendiges Stadtleben. Bereits 2016 wurden 29 Prozent aller Wege mit dem Fahrrad zurückgelegt. Und bis 2025 soll das Auto als Transportmittel nur noch 25 Prozent ausmachen.

Auch das niederländische Groningen ist schon lange seiner Zeit voraus. In den 1960er und 1970er Jahren konnten sich immer mehr Menschen ein Auto leisten und die europäischen Innenstädte wurden konsequent autofreundlicher umgebaut. Nicht so in Groningen! Hier nahm der damals gerade 24jährige Max van der Berg, als Mitglied in der Stadtverwaltung für die Stadtentwicklung zuständig, verkehrspolitisch das Ruder in die Hand. Autos konnten nur noch per Ringstraße die Stadt umrunden. In Groningen selbst durften sich nur noch Fußgänger, Radfahrer und öffentliche Verkehrsmittel bewegen. Der Widerstand war anfangs enorm. Doch ein halbes Jahrhundert später gibt die Geschichte dem frühen Vordenker van der Berg recht. Mit einem Anteil von 60 Prozent Fahrradverkehr fährt die niederländische Fahrrad-Hauptstadt Groningen sauber und nachhaltig.

Dass der Fahrradverkehr in Metropolen an Fahrt aufnimmt, ist auch im slowenischen Ljubljana zu beobachten. Mitten durch Ljubljana bahnte sich über 2000 Jahre die Verkehrshauptader Slovensk cesta, die Nordeuropa mit dem Mittelmeer verbindet. Doch Architekt und Vizebürgermeister von Ljubljana, Janez Kozelj, träumte davon, die Innenstadt zum Begegnungsraum umzugestalten, der nur für Fußgänger, Radfahrer und öffentliche Verkehrsmittel zugänglich sein sollte. Dazu griff er zu einem Kniff: Er ließ die Slovenska cesta wegen Baustellen sperren, nichts Besonderes also. Der Autoverkehr suchte sich neue Wege und die Menschen gewöhnten sich an die Sperre der Innenstadt. Doch auch nach Abschluss der Bauarbeiten wurde die City nicht mehr für Autos geöffnet. Die Ergebnisse können sich sehen lassen: Statt Staus, verpesteter Luft und Betongrau zeigt sich die Slovenska cesta heute einladend bunt: gut besuchte Cafés und Restaurants reihen sich aneinander, spielende Kinder, Familien und Touristen tummeln sich auf der verkehrsberuhigten Fläche, der kostenlose „Kavalir“ chauffiert elektrobetrieben diejenigen, die nicht gut zu Fuß sind, Geschäfte laden zum Bummeln ein. Auch die Zahlen sprechen Bände: Denn auch wenn Ljubljana außerhalb der City weiter ein massives Verkehrsproblem hat, konnte der Autoanteil seit 2003 insgesamt von 58 auf nur noch 42 Prozent zu senken. In der Innenstadt bewegt er sich sogar nur noch im einstelligen Bereich. Für diesen Erfolg wurde Ljubljana 2016 von der Europäischen Kommission als „Umwelthauptstadt Europas“ ausgezeichnet.

Von einer fortschrittlichen und zeitgemäßen Verkehrspolitik, wie sie in Kopenhagen, Ljubljana und Groningen von klugen Planern mutig umgesetzt wird, scheint man in Deutschland noch meilenweit entfernt. Dennoch hat die Bedeutung des Fahrrads für die Alltagsmobilität der Menschen auch hierzulande in den letzten zwei Jahrzehnten erheblich zugenommen: Laut einer Studie zur „Mobilität in Deutschland. Analysen zum Radverkehr und Fußverkehr“ (Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur, Mai 2019) fuhren zum Beispiel 2017 mehr Personen mit dem Fahrrad als im Jahr 2002. Und die mit dem Fahrrad zurückgelegten Wege und Kilometer nahmen im Vergleich zu anderen Verkehrsmitteln überproportional stark zu. In Stau-Städten wie München nehmen Bürger und Bürgerinnen zum Beispiel an Aktionen wie der monatlichen Fahrradveranstaltung Critical Mass teil, um die Verantwortlichen zum Umdenken zu bewegen: Denn viel zu lange schon herrscht in unseren Städten dicke Luft.

Critical Mass ist eine weltweite Bewegung, die 1992 in San Francisco entstanden ist. Scheinbar zufällig treffen sich Radfahrer und touren abends gemeinsam durch die Stadt. Ziel der Veranstaltung ist nicht, den Verkehr zu blockieren, sondern zu zeigen, dass auch Radfahrer Verkehr sind. Die erste deutsche Critical Mass fand 1997 mit knapp 20 Teilnehmern in Berlin statt. Ein halbes Jahr später waren es dann schon bis zu 500 Teilnehmer. Die nächste Critical Mass München trifft sich am 28. Februar 2020 am Max-Joseph-Platz um 18:00 Uhr. Jeder ist eingeladen mitzuradeln; aktuelle Informationen und Streckendetails gibt es auf Facebook.

Text: Marie Annette Laufer

Mit grünen Mobilitätskonzepten gelingt gutes Leben in der Stadt: Auch in Stau-Städten wie München nehmen Bürgerinnen und Bürger an Aktionen wie der monatlichen Fahrradveranstaltung Critical Mass teil, um die Verantwortlichen zum Umdenken zu bewegen.Foto: www.criticalmass-muenchen.de
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