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Digitisation & Virtualization
29. Oktober 2020

Liebe zum Detail

Der Kantonschüler Timothy Vuadens interessiert sich für Bahnhöfe und Untergrundbahnen. Im Computerspiel Minecraft baute er mit Hilfe der Pläne
in Werner Hubers Buch den Hauptbahnhof Zürich massstabsgetreu nach. Den U-Bahnprojekten für Zürich widmet er auch seine Maturaarbeit

Wäre den Planern von Stuttgart 21 vielleicht so mancher Fehler erspart geblieben, hätten sie im Vorfeld erstmal einige ausgefuchste Schüler und Schülerinnen mit einer Computersimulation beauftragt? Wäre der Umbau des denkmalgeschützten Stuttgarter Hauptbahnhofes mit einer detaillierten Simulation via Minecraft möglicherweise weniger umständlich verlaufen? Auf das Großprojekt mit seinen 28 Kelchstützen, die die Dachkonstruktion tragen sollen, ist die Bahn ganz besonders stolz: Knapp 50 Kilometer Tunnelröhren sind schon fertig, 59 Kilometer sollen es insgesamt werden, etwa 70 Prozent der Bahnsteigflächen für den künftigen Hauptbahnhof sind bereits in zehn Metern Tiefe betoniert, 7,7 Millionen Tonnen Abraum sind mit Güterzügen abtransportiert worden. Eine logistische Meisterleistung.

Doch Stuttgart 21 hätte schon im Jahre 2021 fertig werden sollen. Immer wieder musste die Inbetriebnahme verschoben werden. Jetzt hat die Bahn den Dezember 2025 avisiert. Beim offiziellen Baubeginn vor 20 Jahren hatte die Bahn noch mit 4,5 Milliarden Euro Baukosten kalkuliert, aktuell ist von 8,2 Milliarden Euro Gesamtkosten die Rede. Ein Ende der Baustelle ist nicht in Sicht. Während sich also die echten Ingenieure in Stuttgart mit diversen Problemen der Logistik, der Statik, der Konstruktion und der Sicherheit beschäftigen müssen, hat sich ein Schweizer Schüler und Hobby-Bauingenieur einer ziemlich verzwickten architektonischen Herausforderung gestellt.

Mit Hilfe der Pläne in Werner Hubers Buch über den „Hauptbahnhof in Zürich“ (Zürich, Scheidegger & Spiess 2015) hat der Kantonsschüler Timothy Vuadens den Bahnhof Zürich im Computerspiel Minecraft maßstabsgetreu nachgebaut.  „Der Hauptbahnhof war schon immer ganz oben auf meiner Liste“, sagt Timothy Vuadens zu seinem Nachbau des Bahnhofs im Computerspiel Minecraft. Die ersten Versuche gelangen ihm jedoch nicht, da er die Gebäude quasi freihändig bauen wollte und es deshalb Unstimmigkeiten zwischen der dreidimensionalen Darstellung und dem Grundriss gab.

Dann entdeckte Timothy in der Mediathek das Buch „Hauptbahnhof Zürich“ und fand darin die nötigen Pläne, mithilfe derer er die Probleme lösen konnte. Er baute die Grundrisse im Spiel nach und überprüfte, ob auch mit der Skalierung alles seine Richtigkeit hat. Anschließend baute er in die Höhe, wobei er sich bei den Fassadendetails auf Fotos abstützte oder einen Augenschein vor Ort machte. Um das Bauen im Spiel zu beschleunigen, nutzte Timothy auch sogenannte Mods – von Usern kreierte Erweiterungen des Spiels. So konnte er den Zürcher Hauptbahnhof innerhalb von knapp drei Wochen bauen. Sogar die Skulptur „L’Ange Protecteur“ von Niki de Saint-Phalle aus dem Jahre 1997 im Südtrakt der Anlage, dem sogenannten Wannerbau, hat er originalgetreu nachgebaut

Im „richtigen Leben“ besucht Timothy zurzeit die Kantonsschule in Winterthur und interessiert sich für Bahnhöfe und Untergrundbahnen. Den U-Bahnprojekten für Zürich widmet er auch seine Maturaarbeit. Und nach der Matura? „Vielleicht ein Architekturstudium“, meint Timothy Vuadens. Die Grundlagen dafür hat er.

Text: Martin Miersch

Bahnhofplatz: Südtrakt (Wannerbau) von Jakob Friedrich Wanner, 1865–1871. Foto: Timothy Vuadens
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