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Architecture
17. Dezember 2020

Architekturvisionen

James Wines beschäftigte sich schon in den 1980er Jahren mit grüner Architektur – in einer Zeit, in der Begriffe wie Klimawandel, Nachhaltigkeit, erneuerbare Energien oder der menschliche Maßstab in der Welt des Bauens noch nicht so eine zentrale Bedeutung hatten wie heute. Die Berliner Tchoban Foundation hat dem Amerikaner eine Schau mit rund 60 Handzeichnungen gewidmet: Es lohnt ein Blick in den Ausstellungskatalog

Spektakulär sind die Arbeiten des Amerikaners James Wines, des Begründers der grünen Architektur, die noch bis zum 7. März 2021 im Tchoban Foundation. Museum für Architekturzeichnung in Berlin zu sehen sind. Die Ausstellung präsentiert rund 60 gezeichnete Werke des Künstlers und Architekten.

Der 1932 in Oak Park, Illinois, geborene James Wines gehört zu den raren Architekten, deren Werke – einmal gesehen – sich für immer ins Gedächtnis einprägen. Bevor sich Wines der Architektur widmete, studierte er zunächst Kunst. Der Gedanke der Einbettung der Architekturen in ihre Umgebung ist ihm besonders wichtig.

Seine genialischen Architekturzeichnungen gleichen spontanen Entwürfen für abstrakte Skulpturen. Kein Wunder: Wines, eine führende Figur in den Bereichen Umweltdesign und organische Architektur, ist seit den 1950er Jahren auch ein aktiver Bildhauer. Atemberaubend sind vor allem seine Zeichnungen zum Projekt „Vertiscape-Tower“ von 2003. Diese Vision vom Leben in der Natur trotz vertikaler Anordnung der Wohneinheiten knüpft mit seiner wohldurchdachten Überwucherung komplexer Architektur an die legendären hängenden Gärten der Semiamis an.

Er schloss 1956 sein Studium an der Syracuse University ab und leitete seitdem Architektur- und Forschungsprojekte, hielt Vorträge an Universitäten und schrieb zahlreiche Essays für Bücher und Zeitschriften auf der ganzen Welt. Das Architektur-Büro SITE (Sculpture in the Environment), das in diesem Jahr sein 50-jähriges Bestehen feiert, wurde 1970 von ihm in New York gegründet. Seine Zeichnungen realisiert er routiniert mit Bleistift, Pinsel und Aquarell.

Herausragend sind unter anderem seine Entwürfe für die BEST-Warenhäuser, die in der Ausstellung zu sehen sind. Die BEST-Stores sind inspiriert von der Wegwerfkultur und den schachtelförmigen Einkaufszentren. Die Einbeziehung einer unterschwelligen Akzeptanz der alltäglichen Materialität eröffnete die Möglichkeit, Kunst dort einzusetzen, wo das Publikum sie am wenigsten erwartete – in diesem Fall entlang sich endlos erstreckender Highways mit Geschäften. Vor dem Eingriff von SITE in das Straßenbild wurden diese Strukturen nie als etwas anderes als unscheinbare Orte für Einkäufe betrachtet.

Architektur soll nicht nur harmonisch in die Umgebung einfügt sein und ästhetische Empfindungen des Betrachters ansprechen, sondern auch die aktuellen gesellschaftlichen Diskurse wie Klimawandel, Nachhaltigkeit, „grüne“ Architektur, Gentrifizierung oder Zukunft der Städte widerspiegeln. Wines betont, welch entscheidende Rolle für ihn das Entwerfen mit der Hand spielt. „Computer bedienen sich der Algorithmen, Menschen der Fantasie“, sagt er. Wichtig war für ihn die Zeit in Rom, wo Wines in engem Kontakt mit vielen Künstlern stand, die in der Ewigen Stadt lebten. „Es waren intensive Jahre und mit vielen habe ich den Kontakt gepflegt. In dieser Zeit lernte ich zwischen Florenz und Mailand die Gruppen Archizoom, Superstudio, und Ufo kennen und tauschte mich insbesondere rege mit Gianni Pettena, Andrea Branzi und Michele De Lucchi aus. Pierre Restany und Bruno Zevi arbeiteten dann an meiner ersten Monographie „SITE: Architecture as Art.“

Im Buch „Green Architecture“ (Taschen Verlag, 2000) skizzierte Wines eine Architektursprache für ein neues Jahrtausend, in der „Gebäude und öffentliche Räume über das Industriezeitalter hinausgehen und auf das Informations- und Ökologiezeitalter reagieren“. Wines hat sich bereits in den 1980er Jahren mit grüner Architektur beschäftigt – in einer Zeit, in der Begriffe wie Klimawandel, Nachhaltigkeit, erneuerbare Energien oder der menschliche Maßstab in der Welt des Bauens noch nicht so eine zentrale Bedeutung hatten wie heute.

Schon damals ging es ihm beim Gestalten darum, die zeitgenössische Kunst und insbesondere die Bildhauerei, oft unter gesellschaftskritischen Gesichtspunkten, mit der Architektur zu verbinden. Viele gezeichnete Werke von James Wines, wie Highrise of Homes und Ghost Parking Lot, befinden sich heute in namhaften Sammlungen, unter anderem im Museum of Modern Arts in New York und im San Francisco Museum of Modern Art.

Da die Ausstellung aufgrund der aktuellen Situation leider geschlossen ist, ist der begleitetende Katalog zur Ausstellung zu empfehlen. Herausgegeben ist der von Kuratorin Nadejda Bartels (deutsch/englisch , 164 Seiten,  ISBN: 978-3-944899-16-9).

Über die Tchoban Foundation. Museum für Architekturzeichnung

Die 2009 von Sergei Tchoban, einem leidenschaftlichen Zeichner und Sammler von Architekturzeichnungen, gegründete Tchoban Foundation dient mit ihrer beträchtlichen Sammlung als Grundlage für die Forschung zur Geschichte und zum Wesen der Architekturzeichnung. Darüber hinaus bietet eine umfangreiche Präsenzbibliothek mit dem Schwerpunkt Architekturzeichnung Experten und interessierten Besuchern die Möglichkeit zur Recherche. Erklärtes Ziel der Stiftung ist vor allem, die fantastischen und emotionsgeladenen Welten der Architekturzeichnung im digitalen Zeitalter einer breiten Öffentlichkeit in Ausstellungen näherzubringen.

Text: Martin Miersch

 

Titelbild: Frankfurt Museum of Modern Art – View East 1983 Feder, Tusche, Lavierung auf Papier 20,32 x 25,4 cm © James Wines; Abbildung 2: Residence Antilia-Mumbei 2004 Aquarell auf Papier 41,91 x26,67 cm © James Wines By courtesy of Malcolm Knapp
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