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Digitisation & Virtualization
11. Juli 2020

Die Stadt der Zukunft in „Technophoria“

Niklas Maaks jüngster Roman erzählt von Smart Cities an der nordafrikanischen Küste und von einem zunächst euphorisierten Mitarbeiter einer dieser Baufirmen, von Kontrollzwang und Chaos-Sehnsucht, von Überwachung und Konzern-Kontrolle – von den Ambivalenzen der digitalen Welt. Der FAZ-Architekturkritiker zeichnet damit ein scharfes Bild einer Gesellschaft, die ihre Freiheit für Komfort und Sicherheit aufgegeben hat

Der erste Impuls ist, Niklas Maaks Roman „Technophoria“ den Science-Fiction-Stempel zu verpassen, doch nichts wäre voreiliger als das. Ja, in dieser Welt gibt es Roboter. Ja, hier überwachen Kameras öffentliche und private Plätze. Ja, Tech-Firmen und Staat wollen das Leben der Bürger optimieren, indem sie Städte wie Berlin in Smart Citys verwandeln und sie mit allerhand intelligenten Systemen ausstatten: mit autonomen Fahrzeugen und vernetzten Appartements zum Beispiel, die sich bald schon als fieses Panoptikum herausstellen. Doch es wäre ein Trugschluss zu glauben, dass diese Techno-Manie eigentümlich genug sei, um sie als versponnenen Zukunftsentwurf zu verstehen. Maak schafft kein in weiter Ferne liegendes Szenario, sondern eine alternative Realität, die nur um wenige Umdrehungen fortgeschrittener ist als das, was in Grundzügen bereits in der Gegenwart existiert.

Die Apple Watch ums Handgelenk erinnert an die tägliche Dosis Achtsamkeit und Bewegung, das Smartphone alarmiert bei der dritten Pizzabestellung in Folge und, wenn nötig, die mit einer Health-App verbundene Krankenversicherung. Maak flößt der technisierten Welt seines Romans und den Figuren, die sich wie Automaten von ihren nach Effizenz gierenden Vorgesetzen dirigieren lassen, die berechtigten Makel ein. Den technischen Errungenschaften lastet immer ein schräger Nebeneffekt an, der die Sinnhaftigkeit und Moral der volldigitalisierten Lebensräume infrage stellt. Urlaub machen im französischen Ferienhaus? Wunderschön, aber die Überwachungskameras muss man dann halt schon in Kauf nehmen. Sprachassistentin Alexa? Superpraktisch, schnappt nur gelegentlich ominöses Stöhnen aus dem Schlafzimmer auf (versehentlich, versteht sich).

Was Technophoria so faszinierend macht, ist die zynische Verkleidung dieser im Grunde wirklich horrenden Dystopie unter dem Deckmantel einer von den Romanfiguren akzeptierten Alltäglichkeit. Bei Maak sind Roboter keine Todesmaschinen, die plötzlich beginnen, die Weltherrschaft an sich zu reißen und die Menschheit zu knechten. Bei Maak sind die Roboter unsere Häuser und letztlich auch die Städte, in denen wir leben. Die Künstliche Intelligenz hat die Menschen längst verschluckt. Um das zu zeigen, braucht Maak die Dominanz der Technik nicht auszuschlachten, sondern lässt sie subtil und wie selbstverständlich in jeder Szene durchsickern. Dass er diese Gegebenheiten in der Fiktion zu einer gruseligen Normalität ermächtigt, macht sie umso kraftvoller.

Text: Caroline Werthmann

Buchtipp: Niklas Maak, Technophoria, München 2020

Niklas Maaks jüngster Roman „Technophoria“, 2020 erschienen, erzählt von den Ambivalenzen der digitalen Welt. Foto: Hanser
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