Become a Member
← Alle Artikel
Digitisation & Virtualization
16. Juli 2020

„Die Immobilienwirtschaft wird künftig nicht mehr nur mit Mieten Geld verdienen, sondern auch mit Daten“

Was bedeutet Digitalisierung und Künstliche Intelligenz für die Bauwirtschaft? Und wozu sind intelligente Gebäude künftig in der Lage? Eine neue Studie liefert dazu Anworten. Mitverfasser ist Wirtschaftsingenieur Serhan Ili. Er zeigt auf, warum in Zukunft digitale Services immer wichtiger werden

Die digitale Revolution nimmt eine immer größere Bedeutung in unserem Arbeitsleben ein und hat seit einiger Zeit auch die Bau- und Immobilienwirtschaft grundlegend umgekrempelt. Aber welche neuen Chancen und Möglichkeiten ergeben sich daraus für den Bausektor? Die neue Studie „Buildings and Beyond. Digitization and Artificial Intelligence in Building Automation, Construction and Real Estate” gibt darauf erhellende Antworten. Sie wurde von der Ili Consulting AG und von Siemens erstellt und gibt Einschätzungen zu den Auswirkungen der Digitalisierung der Branche.

Der promovierte Wirtschaftsingenieur Serhan Ili ist Mitverfasser der Publikation und erklärt, warum althergebrachte Erfolgsmodelle bedroht sind, wie Unternehmen mit Daten Geld verdienen können und wozu intelligente Gebäude künftig in der Lage sind. Die Studie befasst sich mit den Auswirkungen der digitalen Transformation auf den Bau- und Immobiliensektor. Ili erläutert die Kernaussagen der Studie: „Das Gebäude der Zukunft ist vernetzt, tritt mit den Menschen, die sich darin aufhalten, in einen Dialog, und löst positive Emotionen aus. Es ist sicher, effizient und leistet einen Beitrag an die Ökologie, zum Beispiel indem es die Luftqualität verbessert. Gerade in Megacitys hat dieser ökologische Aspekt großes Potenzial. Es ist intelligent und in der Lage, mit Systemen außerhalb zu kommunizieren, beispielsweise mit dem Stromnetz. Und es geht auf die Bedürfnisse seiner Nutzer ein. Dies geschieht teilweise unbemerkt, die Nutzer haben aber auch die Möglichkeit, selber Einstellungen vorzunehmen. Die Chancen, welche die neuen Technologien bieten, sind unendlich. In der Bau- und Immobilienbranche kann alles, was man anpackt, zu Innovation führen. Schließlich hat sich in den letzten 100 Jahren kaum etwas geändert an der Art und Weise, wie Gebäude geplant und hochgezogen werden. Die Digitalisierung eröffnet über den gesamten Lebenszyklus eines Gebäudes enorme Möglichkeiten für Planer, Architekten, Investoren, Gebäudetechniker und Bewirtschafter. Und auch neue Akteure werden sich entlang dieser Wertschöpfungskette positionieren und neue Märkte erschließen.“

Ili kritisiert in seiner Studie Unternehmen, die die Digitalisierung nur als Möglichkeit sehen, Effizienzgewinne zu erzielen. „Ein zu starker Fokus auf Effizienzgewinne verstellt den Blick auf das, was wirklich wichtig ist: das Erarbeiten eines echten Vorsprungs. Vor dem Hintergrund der digitalen Transformation“ so Ili, „müssen Unternehmen bereit sein, ihre Geschäftsmodelle zu reflektieren, mit ihnen zu brechen und daraus neue Perspektiven und größere Vorteile zu extrahieren. Die Digitalisierung ist eine scharfe Waffe. Da reicht es nicht aus, nur günstiger, effizienter oder produktiver zu sein.“ Die digitale Revolution ist heute so umfassend, dass es für viele Akteure schwierig ist, den Überblick zu behalten. Bei allen so entstehenden Unsicherheiten sieht Ili für die Bau- und Immobilienwirtschaft jedoch vor allem positive Auswirkungen: „Disruptive Trends wie Digitalisierung und KI erzeugen immer eine gewisse Unsicherheit. Aktuell ist es noch zu früh, um eine umfassende Agenda für Digitalisierung und KI für Bau- und Immobilienunternehmen zu entwickeln. Dennoch sollten die Akteure nicht untätig bleiben, sondern versuchen, ihre Rolle im Hinblick auf intelligente Gebäude der Zukunft aktiv zu gestalten. Das funktioniert am besten, wenn sie nach Innovationen streben. Die Unternehmen müssen aufhören, den Status quo zu verwalten. Ein möglicher Ausgangspunkt ist, sich ein Bild der Technologien und Produkte zu machen, die man bereits anbietet. Sind sie vernetzt genug? Ermöglichen sie es, Daten und Informationen auf eine Plattform zu spielen, wo sie einen weiteren Mehrwert produzieren können? Weil es künftig nicht mehr möglich sein wird, alles alleine anzubieten, sollten Unternehmen ein Ökosystem bereitstellen, an dem auch andere Akteure teilhaben können.

Sicher sei es, so Ili weiter, dass Big Data, künstliche Intelligenz und „Predictive Analytics“, datenbasierte Vorhersagen, schon bald integraler Bestandteil der Branche sein werden. „Die Unternehmen müssen es schaffen, Daten zu sammeln, aufzubereiten und so in digitales Wissen zu verwandeln. Auf dieser Basis kann digitale Intelligenz entstehen. Dadurch lassen sich neue Umsatzströme eröffnen, neue Geschäftsbeziehungen eingehen und Produktivitätsgewinne heben. Damit das gelingt, müssen die Akteure digitale Schnittstellen, sogenannte Touchpoints, zu den Nutzern schaffen, die einen rationalen oder emotionalen Mehrwert bieten und kostenlos zugänglich sind. Diese Touchpoints ermöglichen dem Nutzer dann, seine Daten gegen einen Mehrwert zu tauschen.“ Ili nennt dafür ein Beispiel: „Die Immobilienwirtschaft wird künftig nicht mehr nur mit Mieten Geld verdienen, sondern auch mit Daten. Das können die Personenströme innerhalb eines Gebäudes sein. Wenn man diese analysiert, kann man zum Beispiel ermitteln, in welchen Räumen eine Reinigung nötig ist – und in welchen noch nicht, weil sich dort niemand aufgehalten hat. Auf ähnliche Weise eröffnen sich auf Basis von digitalen Daten noch viele weitere Möglichkeiten, Umsätze zu generieren.“ Aber unglücklicherweise ist die Digitalisierung auch mit Risiken verbunden, zum Beispiel mit Cyberkriminalität. Für den heiklen Umgang mit Cyber-Kriminalität empfiehlt Ili: „Oftmals werden die kreativsten Argumente sehr zeitintensiv ausgearbeitet und Ängste geschürt, nur damit keine Zukunftstechnologie und kein neues Geschäftsmodell eingeführt werden muss. Es wäre besser, diese Energie dazu zu nutzen, Lösungen zu finden, statt zu blockieren. Zuerst sollte man die Potenziale von neuen Ideen in den Blick nehmen. Den Risiken kann man nur dann begegnen, wenn man sich nach vorne orientiert, und nicht am Status quo.“

Auffällig ist, dass die Studie häufig den Begriff „Ökosysteme“ verwendet, für Ili, ein notwendiger und sinnstiftender Begriff: „Geschäftsmodelle der Zukunft finden in digitalen Ökosystemen statt, die sich wiederum auf Plattformen organisieren. Hierfür müssen Unternehmen an ihrer Digital Readiness arbeiten. Das bedeutet konkret, dass Unternehmen es mit Hilfe ihrer Produkte und Services schaffen müssen, strategisch die richtigen Daten und Informationen zu sammeln. Wenn zum Beispiel Gebäudedaten auf einer digitalen Plattform platziert und angereichert werden, entsteht Wissen. Dieses Wissen möchte ich Dritten zur Verfügung stellen – gegen Geld natürlich. Beispielsweise einer Versicherung, die auf dieser Basis Prämienberechnungen anstellen möchte. Vor diesem Hintergrund nutzen wir das Wort Ökosystem. Wenn man sein Geschäftsmodell erweitert, beginnt man plötzlich in digitalen Plattformen, Schnittstellen und Ökosystemen zu denken. Denn das neu generierte digitale Wissen lässt sich in neue Leistungsversprechen umwandeln und ganz neuen Akteuren im Ökosystem anbieten.“

Vom vielfältigen Nutzen intelligenter Gebäude ist Ili absolut überzeugt: „Nehmen wir einen Angestellten, der jeden Tag zur Arbeit fährt. Ein intelligentes Gebäude sagt ihm schon während der Anfahrt, wo er sein Fahrzeug abstellen und aufladen kann. Steht er in der Lobby, weiß er, welcher Aufzug am schnellsten kommen wird. Und er kann davon ausgehen, dass an seinem Arbeitsplatz die richtige Temperatur herrscht, die Beleuchtung auf seine Präferenzen abgestimmt und die Luftqualität optimal ist. Und im Notfall hilft ihm eine dynamische Fluchtwegplanung, das Gebäude schnell und sicher zu verlassen.“ Als besonders innovativ gilt die Gamificiation-Methode im Gebäudebereich, also die Integration spieltypischer Elemente. „Gamification ist eine geniale und effektive Methode, um von den Nutzern die gewünschten Daten und Informationen zu gewinnen. Ich würde fast schon sagen, ihnen zu entlocken. Darüber hinaus nutzen lässt sich Gamification einsetzen, um beim Nutzer eine Art Verhaltenskokain für die eigenen Produkte und Services zu schaffen. Das ist vielleicht kein schönes Wort, aber es beschreibt sehr gut die Zielsetzung dieses Ansatzes. Der Nutzer soll die digitalen Services und Produkte immer wieder nutzen.“ Als Anwendungsbeispiel nennt Ili den Bereich Sicherheit: „Im Gebäudebereich kann Gamification zum Beispiel bei der Sicherheit eingesetzt werden. Ist der Sicherheitsdienst die vorgegebene Route tatsächlich abgelaufen? Auf der Route könnten digitale Spielelemente platziert werden, die eingesammelt werden müssen. Oder es gibt Rätsel, die unterwegs gelöst werden müssen. Das motiviert, weil Punkte gesammelt und Levels erreicht werden können. Gleichzeitig können die gesammelten Punkte gegen kosmetische Merkmale eingetauscht werden, um seinen digitalen Avatar aufzuhübschen. Zugegeben, das Thema wird von vielen noch belächelt. Aber wir setzen es mit Erfolg schon bei vielen Unternehmen aus verschiedenen Branchen als strategisches Instrument ein.“

Text: Martin Miersch

Serhan Ili ist Gründer und CEO der Ili Consulting (Karlsruhe), die Unternehmen aus diversen Branchen im Bereich Innovation und Digitalisierung berät. Ili studierte Wirtschaftsingenieurwesen an der Universität Karlsruhe (TH) und promovierte bei Porsche im Entwicklungszentrum Weissach

Serhan Ili ist Gründer und CEO der Ili Consulting (Karlsruhe). Der promovierte Wirtschaftsingenieur ist Mitverfasser der Studie „Buildings and Beyond. Digitization and Artificial Intelligence in Building Automation, Construction and Real Estate”, die Zusammenarbeit mit Siemens entstand. Foto: Siemens AG / Ili Consulting AG
Friends Friends Friends Friends Friends Friends Friends