Die digitale Revolution – wann gestalten wir sie endlich mit?
Eigentlich sind wir Architektinnen und Architekten doch ziemlich kreativ. Und Kreativität bringt neue Ideen hervor. Durch Ideen können wir unser Umfeld verbessern. Ideen sind der Antrieb für neue Geschäftsfelder, für Antworten auf das Klimaproblem, für die Entwicklung einer besseren Zukunft. Und trotzdem ist die Planungs- und Bauwirtschaft nicht gerade der Motor für die digitale Transformation in unserem Land. Hier ist es also, das große Schlagwort unserer Zeit: die Digitalisierung.
Wenn es nach dem prominenten deutschen Philosophen und Bestsellerautor Richard David Precht geht, wird es durch die Digitalisierung zu der nun vierten industriellen Revolution kommen. Diese wird aber viel beschleunigter und viel heftiger von statten gehen, als die Erste. In der industriellen Revolution im 18. und 19. Jahrhundert kam es zu weitreichenden Umwälzungen in der Lebensweise der Menschen, ihrer Arbeitswelt und dem sozialen Gesamtgefüge in der Gesellschaft. Künstliche Intelligenz, vernetzte cyberphysische Systeme oder virtuelle Welten werden laut Experten aber noch massivere Folgen haben.
Und wo steht die Architektur- und Baubranche? Nach dem aktuellen Digitalisierungsindex des deutschen Mittelstandes, einer Studie der Deutschen Telekom, ist die Bauindustrie die am wenigsten digitalisierte Branche bei den KMUs (kleine und mittlere Unternehmen). Und das obwohl es auch hier viele Möglichkeiten gäbe, sich für die Revolution zu wappnen. Vielversprechende Tools sind unter anderem digitale Bautagebücher und das arbeiten nach der BIM-Methodik. Trotzdem haben gerade Mal 31 Prozent der Firmen digitale Bautagebücher über Smartphone und Tablets eingeführt. Der aktive Einsatz von Building Informationen Modeling liegt sogar nur bei 15 Prozent. Zu einem ähnlichen Ergebnis kommt auch die international tätige Beratungsgesellschaft PwC. In ihrem Bericht “Digitalisierung der deutschen Bauindustrie 2019” weisen nur 20 Prozent der Unternehmen eine ausgereifte BIM-Strategie vor. Kurz gesagt: wir stehen nicht besonders innovativ da.
Gewiss ist die ganze Branche rund um das Planen, Errichten und Betreiben von Gebäuden sehr fragmentiert. Es gibt eine Vielzahl von Akteuren: Architekten, Ingenieure, Baufirmen, Investoren, Immobilienverwalter und sehr viel mehr. Bei jedem Bauprojekt werden die Karten neu gemischt. Je nach Standort finden sich neue Zulieferer, Rohbauer, Elektriker, Betreiber und Fachplaner zusammen. Eine serielle Produktion wie am Fließband – was im Übrigen im 19. und 20. Jahrhundert die zweite industrielle Revolution einläutete – lässt sich entlang unserer Wertschöpfungskette so nur schwer realisieren. Dennoch können und müssen wir etwas realisieren. Jeder Betrieb und jedes Planungsbüro kann seine eigenen Prozesse Schritt für Schritt erst digitalisieren und dann manche Arbeitsschritte sogar automatisieren. Klingt wie ein Kraftakt? Wir sind mitten drin im Wandel! Was noch vor der Corona-Pandemie wie Science Fiction für manche klang, wurde in den letzten Monaten für viele selbstverständlich. Videokonferenzen per Zoom oder Teams, bei dem alle Beteiligten am Planungsprozess ortsunabhängig teilnehmen können, sind in Zeiten von Home-Office und Social Distancing nicht mehr wegzudenken. Eingebaute Funktionen, wie das Teilen von Bildschirminhalten oder Whiteboards, die den Mauszeiger eines jeden Teilnehmers zu einem digitalen Stift verwandeln können, erlauben eine neue Form der Kollaboration. Die enormen Vorteile von Zeit- und Ressourcenersparnisse eines digitalen Jour Fixe überwiegen oft die persönlichen Treffen immer wiederkehrender Fachplanertermine. Das wird auch nach Corona so bleiben.
Wir wurden durch die Pandemie quasi zu unserem digitalen Glück gezwungen. Der Umgang mit modernen Arbeitsmitteln ist jetzt wesentlich verbreiteter. Ratlose Gesichter, die aus einem unvorteilhaften Winkel gefilmt in der virtuellen Konferenz übersteuert in das Mikrofon reinrufen, ob man sie denn auch versteht, sind heute eher die Ausnahme. Hinzu kommt, dass Planende durch computerbasiertes Arbeiten mit CAD-Programmen weit weniger in Kurzarbeit geschickt werden, als beispielsweise Beschäftigte im verarbeitenden Gewerbe. Die Voraussetzungen sind also durchaus positiv und unsere Möglichkeiten, die digitale Zukunft mitzugestalten, sind weitaus vielfältiger, als das Baustellenmanagement mit dem Tablet durchzuführen oder cloudbasiert IFC-Daten auszutauschen. Die Nutzung von Extended Reality, die Planung von intelligenten Städten oder der Einsatz der Blockchain-Technologie bei Immobilien, sind nur einige Bereiche, die kreative Köpfe fordern. Wie wir uns auch in diesen Disziplinen einbringen, ja diese sogar maßgebend mitgestalten können, das wird der Inhalt meiner Kolumne sein.
Lasst uns gemeinsam auch beim Thema Digitalisierung so kreativ schaffend wie im Entwurfsprozess sein. Wie seht ihr das und was wären eure Ideen dazu? Schreibt uns eine Email mit euren Vorschlägen, wir sind gespannt!
Euer Sandor Horvath
Über Sandor Horvath:
Sandor hat an der TU München Architektur studiert und arbeitet aktuell als BIM Manager und Architekt in Regensburg. Er ist ein Spezialist auf dem Themengebiet der XR (Extended Reality) und der Blockchain-Technologie in der Architektur und beschäftigt sich viel mit digitalen Transformationsprozessen und daraus resultierenden Innovationen für die Planungs-, Bau- und Immobilienwirtschaft. Schon in frühen Jugendjahren nutzte er digitale Medien und arbeitete mit Cinema 4D oder Photoshop, daher war klar, dass er seine Passion professionalisieren musste.