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15. Februar 2023

Der Architekt: Inklusion oder Segregation?

Aktuell gibt es kaum eine Institution, einen Podcast, ein Museum oder einen Social-Media-Feed ohne feministischen Anstrengungen. Umgelegt auf die Architektur bedeutet das: Ein Fokus auf weibliche Architekturproduktion, auf weibliche Architekturarbeit und die weiblichen Probleme in vorher genannten.
Gegen explizite zur Schau Stellung von Frauen zu sein bedeutet quasi, gegen den konsensualen Zeitgeist zu sein. Und auch dieser Text hier ist kein Pamphlet auf Feminismus. Aber er ist ein Versuch der kritischen Betrachtung dieser Art der Aufarbeitung von vernachlässigten Frauenbiografien.
Was wollen wir sehen, was sollen wir sehen? Photo: unsplash /Xavier Von Erlach

Mit der Ausstellung “M* 1:1 * verborgene Ansichten und weibliche Perspektiven in der Architektur” werden zwanzig Frauen aus der jüngeren Architekturgeschichte hinter den testosterongetränkten Vorhang geholt; ihre Arbeiten und Biografien werden im Kontext eines diskursiven Rahmenprogramms (den sogenannten Round Tables) vorgestellt und sollen dabei aufzeigen, dass es durchaus weibliche Vorbilder in der Architektur gibt, an denen sich junge Studentinnen orientieren können. Diese Ausstellung ist ein Beispiel dafür, wie Weiblichkeit als Grundvoraussetzung für ein Leben abseits der Aufmerksamkeit thematisiert werden kann, ohne dabei Gefahr zu laufen, Frauen als “die besseren Menschen” darzustellen. Allerdings: Diese Ausstellung widmet sich ausschließlich Frauen, weil sie eben Frauen im Architekturberuf sind.

Ganz anders gehen es Mentorinnenprogramme an, wie beispielsweise planM, initiiert von Natalie Bräuninger und Katja Domschky, ihres Zeichens selbst Architektinnen. Hier werden gezielt Frauen gesucht, die anderen Frauen zwar primär beruflich, aber auch ganzheitlich, unter die Arme greifen. Die Vernetzung von Menschen mit einer ähnlichen Ausgangslage im professionellen Umfeld soll idealerweise zu einer Netzwerkbildung führen; die Teilnehmerinnen sind nicht nur je als Mentorin mit “Mentee” und vice versa in ständigem Kontakt, sondern durch Workshops auch untereinander. Diese Seilschaften kennt man bereits von etablierten Männerzirkeln, und was für diese funktioniert, soll auch für Frauen ein Booster für die Karriere sein: “So soll die Anzahl der Frauen in Führungspositionen in der Branche erhöht werden”, heißt es von PlanM.

Beide Initiativen eint, dass sie exklusiv Frauen darstellen und ansprechen. Ein Argument dafür ist, dass der Großteil bisheriger Auswahlverfahren, seien es kuratierte Ausstellungen, Vortragsreihen, Podiumsdiskussionen oder Preisverleihungen, schlicht unserer gesellschaftlichen Prägung nach männerzentriert sind. So würden speziell für Frauen ausgerichtete Varianten dieses Ungleichgewicht zu egalisieren versuchen. Ein Argument dagegen ist allerdings nicht von der Hand zu weisen: Werden gesonderte Frauen-Veranstaltungen, -Preise, -Initiativen etc. ins Leben gerufen, so entsteht keine Inklusion, sondern Segregation. Die formalen Unterschiede werden auf Teilnahmekriterien heruntergebrochen, welche zusätzlich zu den fachlichen Qualifikationen noch mit dem schwierigen Thema Gender- und Geschlechtseindeutigkeit vermischt werden (müssen).

Nun mögen manche behaupten, dass durch exklusive Frauen-Events die realpolitische Sichtbarkeit von Frauen in diesen Branchen und Bereichen überhaupt abgebildet wird. Dem kann man entgegenhalten, dass automatisch ein anderes Maß angehalten wird, um diese Menschen wiederum gegeneinander in Konkurrenz treten zu lassen. Die Trennung von, wie in diesem Fall eben, Frau und Mann führt zu einer stärkeren Deklination und folglich Definition der von einander zu unterscheidenden Kategorien. So werden Unterschiede herausgearbeitet, anstatt einen Versuch zu starten, die Diversität in ihrer Gesamtheit als Chance zu sehen — oder gar als gegebene Konstante, mit der wir umzugehen lernen müssen.

Eine Form, diese Diversität als Ausgangspunkt heranzuziehen, ist der Universalismus. Beruhend auf den mittlerweile wegen Rassismus kritisierten Immanuel Kant, steht der Universalismus als philosophische Strömung für universal geltende Annahmen. Die Fortführung dieser Grundgedanken finden sich unter anderem in den Menschenrechten und der Charta, also dem Gründungsvertrag, der Vereinten Nationen. Gewisse Eigenschaften sind dem Menschen inhärent und von ihm schlicht nicht zu trennen. Diese Eigenschaften gelten für alle, sie sind also universal. Beispiele dafür sind die Unantastbarkeit der Würde und das Recht auf Leben, freie Meinungsäußerung, Asyl und Gleichheit vor dem Recht. Umgelegt auf die Architektur könnte man nun weiter ausführen, dass Eigenschaften eines guten Architekten genauso auf eine gute Architektin zutreffen und umgekehrt. Warum also überhaupt (noch) differenzieren? Erst recht in einer Zeit, in der die Geschlechterdualität aufgebrochen wird und wir langsam als Gesellschaft anerkennen, dass es mehr als nur zwei Identifikationspole in dieser Hinsicht gibt?

Das Problem liegt woanders. Nicht in der Überlegung, dass Männern und Frauen nicht mit gleichen Qualitätsansprüchen konfrontiert wären. Sondern in dem Trugschluss, dass Männer und Frauen dieselbe Ausgangslage haben, sei es bei Verhandlungen, Wettbewerben, in der Präsentation oder dem Diskurs. Womit wir wieder bei der Ausstellung M* 1:1 des Karlsruher Instituts für Technologie wären. Denn hier wird aufgezeigt, wie viele Schätze der Architekturarbeit durch den männerzentrierten Blick bisher schlicht unentdeckt blieben.

Ein Problem, dem übrigens auch Universitätsprofessorin und Historikerin Despina Stratigakos in ihrer Forschungsarbeit zu Architektinnen immer wieder begegnet: Frauen schafften es mangels Wertschätzung und damit einhergehender Präsenz nicht in die großen Verzeichnisse der Architekten (sic), “die man kennen muss”. Diese sogenannten Top-100-Bücher und Co. wurden allerdings jahrzehntelang von Archiven und Bibliotheken herangezogen, um Nachlässe und Vorlässe zu bewerten und gegebenenfalls deren Aufnahme in die Bestände abzulehnen. So beißt sich die Katze in den Schwanz. Deshalb ist es umso wichtiger, dieses Schema in der Gegenwart aufzubrechen und die Brillanz weiblichen Schaffens unaufgeregt hervorzukehren — ohne sie zu überhöhen oder zu instrumentalisieren.

 

Mehr zur Ausstellung “M* 1:1 * verborgene Ansichten und weibliche Perspektiven in der Architektur” findet ihr bald auf der Baumeister-Homepage, sowie später ergänzt in diesem Artikel. Die offizielle Fakultätsnachricht darüber gibt es schon jetzt hier.

Mehr zur Forschung und den Publikationen von Despina Stratigakos findet ihr hier.

Diese Kolumne widmet sich demselben Thema auf baumeister.de: Den richtigen Rahmen finden.

Ein neues Buch vom deutsch-israelischen Autor und Philosophen Omri Boehm erschien zum Thema “Radikaler Universalismus. Jenseits von Identität”.

Titelbild: Wie umgehen mit den Frauen in der Architektur? Photo: unsplash /Joe Holland
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