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Architecture
18. Oktober 2020

„Wir wollten im Innern die stilistischen Elemente des 19. Jahrhunderts zelebrieren“

Das Architekturbüro Herzog & de Meuron hat das Basler Stadtcasino erweitert und modernisiert. Nach dem vierjährigen Umbau läuft inzwischen der Konzertbetrieb unter Corona-Auflagen wieder. Die Casino-Gesellschaft als Eigentümerin und Trägerin hat mit Unterstützung des Kantons 77,5 Millionen Franken in die Aufwertung des historischen Ensembles am Barfüsserplatz investiert. Die letzte Sanierung der für ihre Akustik berühmten Säle des Konzerthauses fand 1976 statt. Welche Veränderungen bringt die neue Ära mit sich?

Im 19. Jahrhundert verstand das Basler Bürgertum unter dem Begriff Stadtcasino nicht nur Amüsement und Glücksspiel.  Auch als soziale und kulturelle Treffpunkte gebaute Häuser galten in Anlehnung an die italienische Tradition als Casino. 1826 entstand die Keimzelle des heutigen Stadtcasinos in Regie des in Karlsruhe bei Friedrich Weinbrenner ausgebildeten Basler Architekten Melchior Berri.

Durch Abrisse, Erweiterungen, Neu- und Anbauten wuchs im Lauf der Zeit ein Gebäude-Patchwork heran, das sich irgendwann als städtebaulich überholt und als Spielstätte ambitionierter Ensembles dysfunktional erwies. Dabei konnte sich der Musiksaal in seiner exquisiten Akustik mit großen Häusern messen. Wie das Concertgebouw in Amsterdam und der Wiener Musikvereinssaal ist er nach dem „Schuhschachtelprinzip“ gebaut und weist eine Saallänge von 36 Metern auf. Zusätzlich entscheidend für den Raumklang ist die Ausschmückung mit Pilastern und Stuckornamenten, die für eine gleichmäßige Streuung des Klangs sorgen. Ursprünglich wollte die Casino-Gesellschaft samt der Basler Politik die Neugestaltung des Prestige-Baus der inzwischen verstorbenen Architektin Zaha Hadid überlassen, die sich schon 2005 bei einem Wettbewerb gegen die lokale Prominenz von Gigon Guyer, Morger & Degelo und Herzog & de Meuron durchsetzte. Ihr Entwurf, der eine radikale Abkehr von der Umgebung bedeutet hätte, inklusive eines Teilabrisses der historischen Substanz, scheiterte 2007 an einem Volksentscheid. Herzog & de Meuron überzeugten 2012 dann beim zweiten Anlauf mit einem Gegenmodell zum Hadid’schen Konzept aus Beton, Glas und Stahl.

Das Basler Büro hat sich mit seinem Erweiterungsprojekt nicht nur der massiven Defizite angenommen und dabei auf spektakuläre Eingriffe verzichtet. Die Fassade der Erweiterung greift sogar ganz ohne Überwältigungsallüren den Stil des Altbaus auf. Nähert man sich aber dem Eingang, erkennt man erst auf den zweiten Blick, dass man keine Steinfassade vor sich hat, sondern Holzverschalung. Das Entree vom Steinenberg, einst die Basler Kulturmeile, wurde zum Barfüsserplatz hin verschoben, was den Effekt mit sich bringt, dass das Gebäude an den zentralen Platz andockt.

Die neue Aufteilung des Ensembles umfasst jetzt zwei klar voneinander getrennte Gebäude für Gastronomie und ein weiteres für Konzerte und Veranstaltungen. Im früheren Eingangsbereich verläuft eine neue Gasse. Sie bietet eine Sichtachse zwischen der als Museum genutzten Kirche und dem Theater an. Im Inneren haben sich die Star-Architekten in vielen Bereichen am neobarocken Bestehenden orientiert. „Wir wollten im Innern die stilistischen Elemente des 19. Jahrhunderts zelebrieren und die Künstlichkeit dieser Elemente in Bezug auf Formen, Materialien und Farben noch hervorheben“, so die Architekten. Die Saalbestuhlung wurde im historischen Stil erneuert und eine Belüftungsanlage eingebaut. Dabei musste akribisch darauf geachtet werden, dass die Akustik des Saals nicht leidet. Die denkmalgeschützten Konzertsäle, der für Kammermusik genutzte, kleinere Hans-Huber-Saal mit 420 Plätzen und der große 1876 eingeweihte Musiksaal mit knapp 1400 Plätzen wurden restauriert. Eine Neuerung findet man im großen Musiksaal. Der schwebende Holzfußboden mit integrierter Zuluftführung ermöglicht es, während der Konzerte geräuschlos zu lüften.

Die wegen Verkehrslärm in den 1960er-Jahren zugemauerten Fenster und das abgedeckte Oberlicht wurden wieder geöffnet. Hochdämmende Stoffe machten dies möglich und sorgen so auch für neue Raumerlebnisse. Eine veritable Umorientierung sind die als Aufenthaltsorte gestalteten Treppenhäuser mit ihren logenartigen Ausbuchtungen. Das Foyer im Obergeschoss bietet ebenfalls Räume fürs Sehen und Gesehenwerden an. Für diesen Bereich wurde bei der Manufacture Perelle in Lyon die originale Brokattapete reproduziert. Das Unternehmen hatte diese einst für die kurz vor dem Musiksaal eröffnete Pariser Opéra Garnier gewoben. Die für die Treppenhäuser entworfenen Lampen punkten mit einem Licht, das sich in den mit silbernem Schlagmetall bestückten Decken spiegelt und so den Raum optisch vergrößert. Im Zusammenspiel der Einzelteile ergibt sich ein theatralischer Mix von neobarocken, klassizistischen und zeitgenössischen Stilelementen, flankiert von einer Farb- und Materialpalette, die vom dunkelroten Samt über warme Eichenholztöne bis zum hellen polierten Stahl reicht. Alle weiteren Elemente, von den individuell gestalteten Säulen der Balustraden bis zu den Türgriffen, wurden zum Teil auf Grundlage historischer Entwürfe gestaltet. „Wir haben historische und zeitgenössische Elemente vermengt zu einem Ganzen, das es so in Basel oder der Schweiz nicht gibt“, sagt Jacques Herzog. „Und natürlich musste die Lachsfarbigkeit aus der unsäglichen Renovation in den 1980er-Jahren weg“. Das Publikum solle sich geradezu als Teil einer Inszenierung fühlen, die dann in das Konzerterlebnis gipfelt, so Herzog. Die große Orgel zu guter Letzt, die Mäzene finanziert haben, befindet sich jetzt im Musiksaal. Ohnehin stammen 35 Millionen Franken des Eigenanteils der Casino-Gesellschaft von privaten Spendern.

Text: Alexandra Wach

Die opulent gestalteten Treppenhäuser laden zum Aufenthalt ein. Foto: Stadtcasino Basel / Roman Weyeneth
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