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Architecture
03. Juni 2020

Wie wir von Bedheim lernen

Schloss Bedheim ist Teil der Internationalen Bauausstellung Thüringen. Als eines der ersten Projekte der IBA konnte die neue Remise im Wirtschaftshof der Schlossanlage realisiert werden. Das große Bauteam hat hier bewiesen, wie mit einfachen Mitteln und zum großen Teil im Selbstbau architektonische Qualität im ländlichen Raum geschaffen werden kann

„Ich habe mein Leben lang immer nach Unterschieden Ausschau gehalten, mich interessieren die Facetten, das Verschiedenartige. Es ist der Reichtum Europas, dass wir so viele Unterschiede haben, dass wir so viele Grenzen haben, Sprachgrenzen, Speisezettelgrenzen, Materialgrenzen … Ich will die Unterschiede nicht verwischen. Mein Leben lang ist aber nichts anderes passiert … Im Laufe der Jahrzehnte wurde es immer uninteressanter, weil die Gegensätzlichkeit fehlte.“ So Dieter Wieland, Filmemacher, Buchautor, Streiter für Land und Baukultur. Sein Insistieren auf Unterschieden zielt nicht nur auf Regionen, sondern auch auf Land und Stadt. Hintergrund bleibt sein Engagement für Natur und Landschaft oder für die Biosphäre gegenüber der Technosphäre. Ohne dies weiter zu vertiefen, bleibt festzuhalten: Der Sinnes- und Augenmensch empfindet den universellen „urban lifestyle“, das hedonistische Einerlei einer zunehmend verwalteten Welt nur als eins: fad. erwartet die Bedheimer Erklärung vom Leben auf dem Land. „Offenheit gegenüber neuen Themen“, ob Architektur, Baumethoden oder -materialien, entfaltet sich, wenn der „Reiz unserer Dörfer, die Landschaftlichkeit der Landschaft“ gehütet und „vorgefundene Formen“ fortgeschrieben werden. „Dörfer sind keine Suburbs“, heißt es da und: „Identität ist ein teures Gut.“ Der Appell aus Bedheim wendet sich an Bauherren und Bauschaffende. Der am Land typische Eigenbau sei zu stärken, die Dorfkerne zu öffnen, die Kulturlandschaft zu beleben. Das Bauhandwerk mit seinem Wissen und Können, seiner Sorgfalt und Aufgeschlossenheit sei gefragt, Architekten zum Mitwirken aufgefordert. Bauen am Land: ein Gemeinschaftswerk im Bewusstsein von landschaftlichem Kontext, regionalen Fähigkeiten und Materialien.

Architektenausbildung habe neben Urbanismus Ruralismus zu lehren. Politik und Medien seien unersetzliche Mitspieler. Fünf Jahre sind es her, dass dieser Aufruf erging. Anlass war das erste „Kamingespräch“ im Bedheimer Schloss, veranstaltet mit der IBA Thüringen vom hier ansässigen Architekturbüro Studio Gründer Kirfel. Florian Kirfel ist der jüngste „Schlossherr“ des Familiensitzes in achter Generation am Rand der Ortschaft Bedheim im Süden Thüringens. Zug um Zug saniert man die Anlage, die nach dem DDR-Zwischenspiel 1990 von den Eltern wieder bezogen und mit biodynamischer Gärtnerei und Sozial- und Kulturunternehmungen belebt wurde. Seit dem Studium von Kirfel und Gründer an der Bauhausuniversität Weimar bestehen enge Bande dorthin, etwa regelmäßige Studenten-Workshops, genannt Bauwerkstatt, oder eben die Kamingespräche.

Das stieß irgendwann an räumliche Grenzen, speziell bei Übernachtungen. Wohnraum wurde geplant, erstes reifes Projekt war ein Gästehaus mit Schlaf- und Gemeinschaftsräumen. Dieses ersetzt eine alte Remise und bildet nun mit dem gemeinschaftlich betriebenen Café das Entree zum Schlossareal.

2016 wurde geplant; Leitbild war der Selbstbau in Anlehnung an amerikanisches „timber frame“ mit standardisierten Bauelementen und einfacher handwerklicher Verarbeitung von Holz. 2017 begann der Bau. In Eigenregie wickelten Florian Kirfel und Anika Gründer die Baumaßnahmen ab, assistiert von den angestellten Partnern Philip Bader und Albert Liebermann und unterstützt durch zahlreiche Helfer, darunter mehrmals eine Bauwerkstatt. Baustelle wurde Bauhütte – wie gedacht am Bauhaus der frühen Jahre. Bei Bedarf griff man auf fachliche Unterstützung zurück: ein paar wandernde Zim- merleute, eine Dachdeckermeisterin aus dem Kreis der Studierenden oder lokale Handwerker beim Elektro- und Sanitärausbau. Nachdem der Bau bis zum Winter unter Dach gebracht worden war, folgten 2018 Fassaden- und Innenausbau; im Februar 2019 wurde eröffnet.

Der Bau nutzt die Natursteinfundamente eines alten Schafstalls. Darauf und auf einer Schicht Glasschotter liegt die Bodenplatte, maschinell geglättet als fertiger Boden. Darauf setzt der Holzrohbau auf. Auf provisorischen Werkbänken wurden Wandgefache von maximal zwölf Metern Länge aus einheitlich 6 × 18 Zentimeter starken Hölzern im Achsmaß 62,5 Zentimeter gefügt und mithilfe eines Krans versetzt. Im Raster liegen Deckenbalken, zur Eingangsseite weit auskragend, worauf sich das 55 Grad steile Sparrendach mit den charakteristischen Aufschieblingen erhebt.

Die Holzkonstruktion von Wand und Dach ist innenseitig mit sägerauer Fichte, außen mit Holzfaserplatten verschalt: Der Zwischenraum ist Zug um Zug mit einer Blähton-Schüttung, gebunden durch eine Lehm-Schlämme, gefüllt. Innen sind die Bretter mit kaseingebundenem Kalk geschlämmt – Verfahren, die vor Ort versuchsweise optimiert wurden. Das hinterlüftete Dach ist mit lokalen Krempziegeln K1 gedeckt. Auch die Fenster sind Eigenbau: Drehflügel, nach außen öffnend, mit Dichtungsbändern stumpf auf die Pfosten anschlagend und mit dänischen Fensterbeschlägen geschlossen. Die Außenfassade besteht aus horizontal stehenden und liegenden Brettern im Wechsel, kontrastierend mit der vertikalen Deckleistenschalung der spitzen Giebel, lasiert mit leinölgebundenem Holzteer. Bau von Veranda, Installation, Verfliesen der Sanitärräume und ein Lärchenboden im oberen Schlafsaal beschließen die Bauarbeiten. Nun steht – als „Sch(l)afstall“ ein Hotspot der IBA Thüringen – das Gästehaus mit Schlafzimmer und -saal, Sanitäreinrichtungen, Küchen- und Essraum sowie Raumreserve für Heizung zur Verfügung. Die Nachfrage zieht beständig an, der Zuspruch in Fachkreisen kommt in einem Platz auf der Shortlist DAM 2020 zum Ausdruck.

Text: Florian Aicher

 

Zum Autor Florian Aicher:

Aufgewachsen auf dem Campus der Hochschule für Gestaltung Ulm, lag ein Architekturstudium nahe. Florian Aicher ist seit 1981 selbstständig und lehrt in Deutschland sowie Österreich. Er lebt in Rotis im Allgäu und schreibt zudem für internationale Zeitschriften über das Bauen und Handwerk.

Die Architekten haben das denkmalgeschützte Ensemble um diese zeitgenössische Remise ergänzt. Foto: IBA Thüringen / Thomas Müller
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