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Architecture
11. Januar 2021

Wie breit ist das Feld des Digitalen in der Architektur?

Bis Anfang Juni 2021 ist jetzt die aktuelle Ausstellung „Die Architekturmaschine“ im Architekturmuseum der TUM (Pinakothek der Moderne, München) verlängert: Die Schau wirft erstmals im deutschsprachigen Raum einen umfassenden Blick auf die Entwicklung des Digitalen in der Architektur. Wir sprachen mit der Kuratorin Teresa Fankhänel

NXT A: Die Ausstellung basiert auf Ihrem zweijährigen Forschungsprojekt. Wie kamen Sie auf das Thema?

Teresa Fankhänel: Wir denken, dass die Aufarbeitung der Geschichte des Digitalen in der Architektur aktuell ein brennendes Thema ist. Dafür gibt es mehrere Gründe: Die ersten zwei Generationen von Architekt*innen, die mit dem Computer gearbeitet haben, sind bereits oder gehen derzeit in den Ruhestand, und wir müssen dringend damit beginnen, dieses Erbe zu sichern, bevor es unwiederbringlich verloren ist. Architektursammlungen weltweit sind momentan auf der Suche nach Lösungen für die neuen Herausforderungen, die mit der Aufbewahrung und der Gewährleistung einer langfristigen Zugänglichkeit alter Dateien, Software und Hardware einhergehen. Dies ist keine leichte Aufgabe und bedarf eines grundlegenden Ver- ständnisses davon, was man eigentlich vor sich hat, wenn man digitale Architektur sammelt. Bislang gibt es nur in sehr wenigen Archiven überhaupt computergeneriertes Material. In diesem Zusammenhang hoffen wir, dass die Ausstellung erstmalig sowohl einem breiteren Publikum als auch dem Fachpublikum ein Bewusstsein dafür vermittelt, wie breit das Feld des Digitalen in der Architektur ist und wie vielfältig die Veränderungen sind, die die digitale Datenverarbeitung mit sich gebracht hat.
Darüber hinaus interessiere ich mich für den Einfluss, den Technik nicht nur auf Kreativität, sondern auch auf unser Verständnis der Welt hat. Computer sind hier Teil einer langen Geschichte neuer Medien, die die Art und Weise, wie wir über Architektur nachdenken, nicht unwesentlich prägen. Um also die Architektur der letzten Jahrzehnte – und natürlich auch der Gegenwart und Zukunft – angemessen verstehen zu können, brauchen wir ein grundlegendes Verständnis der Werkzeuge, mit denen sie entworfen, dargestellt und vermittelt wird. Bislang ist diese Geschichte nur in Ansätzen geschrieben worden, und wir unternehmen mit diesem Projekt eine erste breite Bestandsaufnahme des Digitalen in der Architektur.

NXT A: Zu welchem Ergebnis sind Sie gekommen?
Teresa Fankhänel: Wir sind mittlerweile an einem Punkt, an dem viele frühe Visionen davon, wie der Computer die Architektur demokratisieren kann, wie er sie interaktiver machen oder wie grundlegende Auf- gaben automatisiert werden können, technisch möglich werden. Es ist jetzt an der Zeit, das technisch Machbare zu hinterfragen. Brauchen wir zum Beispiel KI-gestützte Grundrissgeneratoren? Was genau wird denn da eigentlich von einem Programm ausgespuckt? Und welche Aufgabe übernehmen Architekt*innen in Zukunft?

Teresa Fankhänel: Sicher haben Sie umfangreiches Material zusammengetragen. Wie gliedern Sie die Ausstellung?

NXT A: Die Ausstellung zeigt 250 Exponate in vierzig internationalen Projekten von
den 1960er-Jahren bis heute. Die vier Kapitel der Schau basieren auf der Chronologie der wichtigsten Innovationen, ohne jedoch Anspruch auf Vollständigkeit oder eine klare Epochentrennung zu erheben: der Computer als Zeichenmaschine, der Computer als Entwurfswerkzeug, der Computer als Medium des Geschichtenerzählens und der Computer als interaktive Plattform. Diese Themen finden sich, trotz einer gewissen Chronologie, natürlich in der gesamten Geschichte wieder und sind als Anhaltspunkte für das Verständnis dieser komple- xen, sechs Jahrzehnte langen Entwicklung gedacht. Zusätzlich präsentieren wir erstmals einen Stammbaum der Architektursoftware, den wir in intensiver Zusammenarbeit mit Softwareherstellern eigens für diese Ausstellung recherchiert haben. Wir präsentieren diese digitale „Wurzel Jesse“ zusammen mit Screenshots von frühen Benutzeroberflächen, Werbe- filmen und Zeichnungen, die mit frühen Versionen kommerzieller Programme erstellt wurden.

NXT A: Kann man in der Ausstel- lung auch was ausprobieren? T F : Es gibt einige Gadgets: Mit einer Übersicht histori- scher Eingabegeräte, darun- ter die erste deutsche Computermaus oder ein Prototyp der ersten Maus von Microsoft, vermittelt die Ausstellung ein ganz eigenes, haptisches Verständnis davon, wie sich das händische Zeichnen mit dem Computer seit den 1960er-Jahren verändert hat. Mit einem Spiel von You+Pea kann man sich selbst satirische Hochhäuser auf der Basis von Serviettenskizzen generieren lassen. Und eine VR-Installation von Atelier Oslo lotet die Möglichkeiten einer nicht nur visuellen, sondern körperlichen Erfahrung ungebauter Architektur aus.

NXT A: Verraten Sieuns, mit welchem Projekt Sie die Computer-Architekturgeschichte beginnen?

Teresa Fankhänel: Die Ausstellung beginnt mit einem Video der ersten Computersoftware, Sketch- pad, die 1963 von Ivan Sutherland am MIT als Teil seiner Doktorarbeit geschrieben wurde. Wir zeigen auch eine Rekonstruktion dieser Software, die Daniel Cardoso Llach 2017 an der Carnegie Mellon University in Pittsburgh auf Basis des ursprünglichen Programms erstellt hat. Be- sucher können an einer der originalen Hard- und Soft- ware nachempfundenen Installation selbst erfahren, was es bedeutet hat, in der „digitalen Steinzeit“ mit dem Computer zu zeichnen. Das erste gebaute deutsche Projekt, das wir in der Ausstellung zeigen, ist der Siemens- Pavillon auf der CeBIT in Hannover 1970 der gemeinsam von TUM-Alumnus Ludwig Rase und dem Programmierer Georg Nees als eine sechs- eckige Deckenstruktur auf einem Siemens-Großrechner generiert wurde. Das Faszinierende an dieser Geschichte ist allerdings, dass es keinen klar definierbaren, einzigen Anfangspunkt gibt. Vieles, was man in der Anfangszeit entwerfen konnte, war damals noch nicht baubar. Und viele der Ideen, wie zum Beispiel parametrische oder algorithmische Entwürfe, die die Grundlage für ganz bestimmte Computerprogramme waren, gibt es seit der Antike. Es ist insofern auch eine Frage nach der Henne oder dem Ei.

NXT A: Gibt es auch ein virtuelles Programm?

Teresa Fankhänel: Es gibt Gespräche und Interviews, zu denen wir Teilnehmer der Ausstellung eingeladen haben, darunter Christopher Sharples von SHoP Architects oder You+Pea. Das Programm läuft über unsere Kanäle auf Facebook, Instagram und YouTube und wird auch im Nachhinein noch verfügbar sein. Wir zeigen dieses Mal zusätzlich eine digitale Führung durch unsere Räume, die virtuell einen Eindruck für all diejenigen ermöglicht, die es vielleicht nicht nach München schaffen werden.

Das Interview führte Sabine Schneider.

Teresa Fankhänel hat die „Die Architekturmaschine“ im Architekturmuseum der TUM (Pinakothek der Moderne, München) kuratiert. Die Schau wirft erstmals im deutschsprachigen Raum einen umfassenden Blick auf die Entwicklung des Digitalen in der Architektur. Foto: www.architekturmuseum.de
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