Wie beeinflusst Mobilität den Raum, in dem wir leben?
Die autogerechte Stadt war ein bereits in den zwanziger Jahren vieldiskutiertes und in Berlin zum Teil auch realisiertes Projekt, bevor es dann in den ersten Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg vielerorts oberstes Ziel der Stadtplanung wurde. Konzeptionelle Grundlagen sind die Funktionsentflechtung und die von Le Corbusier 1922 entwickelte Idee der Ville Contemporaine. Dem Ziel der autogerechten Stadt wurden ökologische Erfordernisse oder die Bedürfnisse nichtmotorisierter Verkehrsteilnehmer oft hemmungslos untergeordnet. Aber das Konzept der autogerechten Stadt steckt heute tief in der Krise: Vor allem wegen der großen Umweltbelastungen wird es heute allgemein abgelehnt und stattdessen der Ausbau der öffentlichen Verkehrsmittel gefördert.
Das Architekturforum Oberösterreich (afo) in Linz hat nun diesem wichtigen Thema eine Ausstellung gewidmet. Die sehenswerte Schau kann noch bis zum 16. Oktober 2020 besucht werden. Die autogerechte Stadt und die damit verbundene jahrzehntelange Ausrichtung des Verkehrs auf das Auto haben in den Städten und Orten zu vielen negativen Auswirkungen geführt. Alle Fortbewegungsformen und Verkehrsteilnehmer und -teilnehmerinnen abseits des Pkw werden räumlich systematisch benachteiligt. Das ist auch in Linz so. Während am Land Ortskerne immer mehr aussterben, sind Lärm, CO2-Belastung und Stau die täglichen Begleiterscheinungen städtischen Lebens und Teil unserer „Normalität” – zumindest bis zur Covid-19-Pandemie Anfang März 2020. Diesen Zustand kritisch zu hinterfragen und alternative Szenarien kennenzulernen, ist Anspruch der Linzer Ausstellung.
Unter den Gesichtspunkten von Funktionalität und Rationalität wurden Stadt und Land ab den 1950er-Jahren an das Automobil und dessen räumliche Anforderungen angepasst. Straßen wurden breiter, Verkehrsknoten kreuzungsfrei, Parkplätze sollten möglichst überall verfügbar sein. Der Mensch geriet als Maßstab für die Planung und Gestaltung einer attraktiven Umwelt, in der wir uns gern bewegen, ins Hintertreffen. Von den Innenstädten abgesehen, nimmt der Autobesitz und -verkehr in Oberösterreich wie anderswo bis heute zu.
Am Beispiel von Linz lässt sich diese Entwicklung gut nachvollziehen. „Aktuelle Planungen“, analysiert Kurator Stefan Groh, „scheinen sich immer noch an Konzepten der Vergangenheit zu orientieren.“ Der Architekt und Autor hat unter anderem in Linz Architektur studiert und ist Teil des dreiköpfigen Ausstellungsteams von „Autokorrektur“. „Unsere Best-Pratice-Beispiele zeigen, dass es in anderen Städten bereits ein Umdenken gibt. Gerade in den letzten Jahren wurde die gemischte und kompakte ‘Stadt der kurzen Wege’ wieder zu einem Ziel zeitgenössischer Stadtentwicklung“, so die Architektin und Kuratorin Madlyn Miessgang. Der öffentliche Personennahverkehr kommt in der derzeitigen Krisensituation allerdings unter Druck. Zwangsläufig kommen Menschen einander hier so nahe wie kaum irgendwo sonst im öffentlichen Raum. Könnte das Auto also als Sieger aus dieser Krise hervorgehen und die Argumente für Alternativen zurückdrängen? Das sei zu kurz gedacht, argumentiert René Ziegler, Stadtplaner und Lektor an der TU Wien, der Dritte im Bunde der Ausstellungsmacher: „Natürlich braucht es gerade jetzt den politischen Willen und Aktionen, um veraltete Denkweisen zu überwinden. Die Auswirkungen des Klimawandels und die Tatsache, dass Verkehr und Bauwirtschaft ihn wesentlich mitverursachen, bleiben als Problem bestehen.“
Es müsse jetzt gehandelt werden. Die von René Ziegler, Madlyn Miessgang und Stefan Groh kuratierte Ausstellung gibt einen Überblick über die Mobilitätsentwicklung unserer Städte und zeigt mögliche Zukunftsszenarien, die andernorts nicht mehr nur Theorie sind, sondern als gelebte Praxis bereits umgesetzt wurden. „Autokorrektur“ liefert Anregungen und Beispiele, die in der Ausstellung individuell zum Katalog zusammengestellt und mitgenommen werden können. Die Ausstellung findet im Rahmen der afo-Schwerpunktsaison zur Mobilität in Oberösterreich statt.
Text: Martin Miersch
Das Architekturforum Oberösterreich (afo)
Als Plattform für Architektur und Baukultur engagiert sich das Architekturforum Oberösterreich (afo) für interdisziplinäre Diskurse über urbane und ländliche Entwicklungen einschließlich der damit verbundenen Veränderungen, die unseren Alltag beeinflussen. Ein wichtiges Ziel ist die Vernetzung von ArchitektInnen, PlanerInnen und BauherrInnen mit AkteurInnen aus Handwerk, Wirtschaft, Wissenschaft, Kunst, Kultur und Politik. Darüber hinaus möchte das afo zu einer lebendigen und kritischen Reflexion über Architektur als gesamtgesellschaftlichen und kulturellen Prozess aktiv beitragen.