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Architecture
22. Oktober 2020

Review NXT A Digital Talks #3: Ludwig Heimbach, Kurator der Ausstellung „Mäusebunker & Hygieneinstitut: Versuchsanordnung Berlin“

In unserem dritten digitalen Talk aus der Reihe NXT A Digital Talks sprachen wir mit Ludwig Heimbach, Architekt und Kurator der Ausstellung „Mäusebunker & Hygieneinstitut: Versuchsanordnung Berlin“ über die Ausstellung, die aktuelle Debatte sowie über die Geschichte und Zukunft des „Mäusebunkers“ und des gegenüberliegenden „Hygieneinstituts“

Ludwig Heimbach lebt als Architekt in Köln und Berlin. Er studierte Architektur an der Technischen Universität Berlin und an der Universität für Angewandte Kunst Wien in der Meisterklasse von Professor Wolf Dieter Prix. Seit etwa eineinhalb Jahren ist er im Kuratorium des BDA Berlin und kuratierte die Ausstellung „Mäusebunker & Hygieneinstitut: Versuchsanordnung Berlin“ in der Geschäftsstelle des BDA Berlin, die zugleich gerade als Galerie fungiert. In unserem dritten Talk sprach er mit NXT A über die Ausstellung, die Geschichte und die Zukunft der beiden brutalistischen Ikonen der Berliner Architektur. Darüber hinaus führte er die Zuschauer virtuell durch die Galerie und gewährte spannende Einblicke in die vom Abriss bedrohten Bauwerke.

Den Mittelpunkt der Ausstellung bilden die zentralen Tierlaboratorien der FU Berlin (1967-1981) von den Architekten Gerd und Magdalena Hänska, auch bekannt unter dem Namen „Mäusebunker“ und dem gegenüberliegenden Institut für Hygiene und Umweltmedizin der Charité (1967-1974) von Fehling + Gogel, die durch einen unterirdischen Gang miteinander verbunden sind. Sie rückt die beiden Bauten exemplarisch für ihre Entstehungszeit und den Entstehungsort West-Berlin in den Fokus und soll die aktuelle Diskussion um Fortbestand und Weiternutzung beflügeln.

Gleich zu Beginn des Talks gibt uns Kurator Ludwig Heimbach, der sich für den Erhalt der Bauten einsetzt, mit Hilfe eines Videos und Fotografien Einblicke in den ersten Teil der derzeitigen Ausstellung, die sich in zwei Standorte gliedert. Der erste Ausstellungsort findet sich in der Krahmerstraße in Berlin-Lichterfelde. Hier präsentieren sich die beiden Bauten im Maßstab 1:1 und sind von außen in ihrer städtebaulichen Einbindung und Ensemblewirkung sowie in ihrer skulpturalen Virtuosität und Prägnanz erlebbar. Den zweiten Teil übernimmt das Studierzimmer in der Geschäftsstelle des BDA Berlin in der Mommsenstraße im Stadtteil Charlottenburg. Das Studierzimmer zeigt Qualitäten der Bauten, die nicht unmittelbar in ihrer äußeren Präsenz ablesbar sind. Besucher sind dazu eingeladen, sich in die Arbeit der Architekten G+M Hänska und Fehling+Gogel zu vertiefen.

Schwerpunkt des Studierzimmers sind der Innenraum, das Detail und die Geschichte der Gebäude. Eine Tafel zeigt Zeichnungen und handgeschriebene Kommentare von Kurator Ludwig Heimbach und assoziiert Kontexte und kulturelle Implikationen sowie Überformungen von Cyberpunk, Stealth- und Soft Edge-Design zu Bunkerarchäologie, Landschaftlichkeit und „Ästhetik des Unheimlichen“ mit den Baudokumenten der Entstehungszeit. Darüber hinaus werden Originalmaterialien aus den Nachlässen der Architekten Gert und Magdalena Hänska und Fehling+Gogel sowie andere bauzeitliche Unterlagen präsentiert. Anhand der ausgestellten Fotografien von Kay Fingerle erlebt man das weitgehend nicht zugängliche Innere der Bauten sowie einen Blick auf den überaus guten inneren Erhaltungszustand beider Gebäude. Auch der aktuelle Diskussionsprozess um die Zukunft der Bauten wird dokumentiert.

Im Gespräch erklärt Herr Heimbach die aktuelle politische Debatte genauer – worum geht es und weshalb bildete sich im Frühjahr ein Widerstand gegen den Abriss? Seit Anfang des Jahres stehen diese beiden Gebäude im Mittelpunkt einer Diskussion zwischen Architekten, Denkmalschützern und der Charité. Die Charité wollte ursprünglich die beiden wegweisenden Bauten abreißen und durch einen neuen Forschungscampus ersetzen. Im Frühjahr 2020 regte sich allerdings ein erster Widerstand gegen die Pläne der Charité. Eine Petition mit bereits über 7000 Unterstützern erreichte erste Verhandlungen. Die Pläne zum Abriss des Hygieneinstituts seien durch die Charité verworfen worden, während es für den Mäusebunker inzwischen unterschiedliche Nutzungsideen gibt, wie zum Beispiel eine kulturelle oder wohnliche Nutzung sowie die Umnutzung zu einem Servergebäude. Und auch die erfolgreiche Ausstellung „Mäusebunker & Hygieneinstitut: Versuchsanordnung Berlin“ bewegte viel. Eine Diskussionsveranstaltung mit der Charité, dem Landeskonservator und verschiedenen Fachleuten aus dem Denkmalamt ergab nur wenige Wochen vor dem Talk, dass das Hygieneinstitut weiter genutzt werden solle. Auch die angekündigte Sanierung solle nach denkmalpflegerischen Kriterien erfolgen. Von Abriss ist derzeit keine Rede mehr. Die Charité könne sich mittlerweile sogar vorstellen, beide Gebäude als „Signatur buildings“ in die Pläne für ihren neuen Forschungscampus einzubinden. Für das Mäusebunkergrundstück könne sich die Charité aktuell einen Flächenwechsel vorstellen sowie eine Mitnutzung in Teilen oder sogar im Ganzen, wenn ein finanziell tragfähiges Konzept erarbeitet wird.

Bisher besteht für den “Mäusebunker” und das “Hygieneinstitut” kein Denkmalschutz, auch wenn der Bau schon aufgrund seiner Singularität in der deutschen und internationalen Architektur schützenswert wäre, ebenso ist der Innenausbau sowie die Gebäudeaußenwand quasi unverändert und damit im Originalzustand. Der Erhalt von Kulturgut, worunter auch Gebäude fallen, muss, ausgehend von dessen Bedeutsamkeit für die Gesellschaft und Kultur, unabhängig von Beliebtheit oder Profitabilität bei einer Diskussion an erster Stelle stehen und ist Aufgabe der Denkmalpflege.

Das Studierzimmer zur Ausstellung ist noch bis 22. Oktober 2020 in der BDA Galerie Berlin in der Mommsenstraße 64 zu besichtigen. Eine Publikation zu beiden Gebäuden wird voraussichtlich nächstes Jahr im Herbst erscheinen. Das Video von unserem dritten Talk findet ihr in der NXT A Mediathek.

Text: Valentina Grossmann

Collage: Experimental Set-Up Mäusebunker & Hygieneinstitut. Foto: Ludwig Heimbach
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