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Architecture
NXT A exklusiv
30. März 2021

Project Stories #7: A behind the scenes look at architecture by NXT A

In unserer Serie "Project Stories" berichten Architektinnen und Architekten über ihren Alltag und an welchen aktuellen Projekten sie gerade arbeiten. Der Architekt Johannes Sack startete gemeinsam mit der Architekturjournalistin Mariella Schlüter die Initiative „Kaleidoskop Tauberbischofsheim“

Einerseits gefallen wir uns als Architekt*innen oft dabei, in unseren eigenen Sphären zu schweben. Andererseits haben sich die Otto-Normalbürger*innen in der Rolle der vorlauten Kritikerin ebenfalls wohlig eingerichtet. Warum wir uns nicht wundern sollten, dass keiner uns versteht – und warum es an der Zeit ist, die gemeinsamen Aufgabe „Baukultur“ anzugehen.

Im Frühjahr 2020, der erste Lockdown steht kurz bevor. Mariella und ich telefonieren über die aktuelle Situation und irgendwie kommen wir auf die Idee zu einer Veranstaltungsreihe, die den Anspruch hegt, die Themen Baukultur, Architektur und Stadtentwicklung ‚jetzt mal wirklich‘ transparent zu machen. Unsere Strategie: die Themen konkret einer gewissen Gruppe (Kleinstadt-Bürger*innen) anzutragen und auf ihre Relevanz im Alltag Bezug zu nehmen (Tatsächlich zeigen wir einfach eine gähnend leere Architekturpreis-Landkarte). In der Hoffnung, dass sich allein durch die persönliche Betroffenheit des möglichen Publikums ein Interesse und schon gleich eine gewisse Verantwortungsbereitschaft einstellt („andere schaffen’s ja auch“). Die Erster-Lockdown-Phase war noch die Zeit des Aufbruchs…

Schnell wird uns klar, dass die aufgespannten Themenfelder nahezu unerschöpflich und somit an einem einzigen Abend schwer zu vermitteln sind. Aber: irgendwo muss man ja mal anfangen. Wir legen uns also auf verschiedene Fokus-Themen fest und nennen die Reihe, sinnbildlich stehend für die durch die kühne Themenvarianz jedes Mal neu entstehenden Bezüge, Muster und Zusammenhänge, „Kaleidoskop Tauberbischofsheim – Gespräche zur Baukultur“.

 

Gespräche zur Baukultur

Oft bleibt die Architekt*innenwelt unter sich und klagt schlimmstenfalls sogar mit Krokodilstränen darüber, dass sich wieder nur die Gleichen für Baukultur interessieren. Thematisch dreht sich die Diskussion oft entweder um Projekte und Probleme in Großstädten oder (und hier oftmals mit einer ordentlichen Portion romantischer Melancholie versehen) um das einfache Leben in einsamen, vielleicht sterbenden, ländlichen Gemeinden – mit offensichtlichen Problemen. Aber bildet das die Lebensrealität außerhalb unseres Echoraums überhaupt ab, wäre solch eine Diskussion überhaupt interessant und relevant für das ersehnte Laien-Publikum ?

Wovon sprechen wir denn, wenn wir über „die urbane Stadt“ diskutieren ? Und welchem Laien muten wir zu, Interesse für die Diskussion aufzubringen ? 11.000 von 11.300 deutschen Kommunen haben eine Einwohnerzahl bis 50.000 Einwohner – 6.756 sind sogenannte Kleinstädte (per Definition: 5.000 – 20.000 Einw.). Kleinstädte beanspruchen zusammen 57% der Fläche im Bundesgebiet, rund jeder dritte (!) Bundesbürger lebt in einer Kleinstadt(1). Was ich sagen will: wir reden oftmals aneinander vorbei.

 

Tauberbischofsheim

Die baden-württembergische Kreisstadt Tauberbischofsheim zum Beispiel hat mit ihren Teilgemeinden (besser: Dörfer) Dienstadt, Distelhausen (glücklicherweise mit Brauerei), Dittigheim, Dittwar, Impfingen und Hochhausen ca. 13.000 Einwohner.

Tauberbischofsheim ist weder Großstadt noch verlorenes Land. Die Kreisstadt hat einen bau-historisch attraktiven Kern, verschiedene Einfamilienhausgebiete, erfolgreiche Firmen, Discounter im Gewerbegebiet – das Wachstum des nördlichen Main-Tauber-Kreis ist moderat und für Baden-Württemberg durchschnittlich(2). Die Bürger*innen aus Tauberbischofsheim haben ein Leben in der „Stadt“ jenem „auf dem Land“ vorgezogen (wobei es hier natürlich auch einen großen Unterschied zwischen den wenigen gibt, die wirklich IN der Stadt wohnen, und denen, die besagte Einfamilienhausgebiete bevölkern). Kurzum: Aufgrund all der genannten Aspekte lohnt sich eine intensive Beschäftigung mit Tauberbischofsheim und seinen Bürger*innen.

Mariella und ich finden im Kunstverein Tauberbischofsheim einen Veranstalter, der sich unserer Idee annimmt – der BDA Baden-Württemberg (Heilbronn-Franken) willigt ein, unser Kooperationspartner zu sein. Ortsansässige Unternehmen wie die Volksbank Main-Tauber und Möbel Schott unterstützen uns. Die Initiative findet im Lockdown offene Türen.

 

Der Blick über den Tellerrand – welcher Teller ?

Unsere Veranstaltungsabende beginnen mit einem „Impuls und Inspiration“-Teil. Thematische Kurzvorträge überregionalrenommierter Expert*innen motivieren zum Blick über den Tellerrand. Der zweite Teil beschäftigt sich anschließend mit dem ‚Teller‘: gemeinsam mit Tauberbischofsheimer Persönlichkeiten werden aktuelle Fragestellungen auf dem Podium diskutiert. Im Laufe des Abends wird die Diskussion für Fragen und Anregungen aus dem Tauberbischofsheimer Publikum geöffnet.

Es ist bemerkenswert, mit welchem Engagement sich einerseits die Bürger*innen an der Diskussion beteiligen und die Initiative wertschätzen – aber vor allem auch, wie sich die Kolleg*innen auf das Format einlassen. Nicht nur, dass unsere Vortragenden überhaupt unserer Einladung zum Podium nach Tauberbischofsheim folgen (zurzeit nur digital), sondern auch die Bereitschaft, gemeinsam mit uns die inhaltlichen Schwerpunkte ihrer Vorträge zu erarbeiten und sie mit großem ehrenamtlichen Engagement rein „für die Sache“ auf die spezifischen Tauberbischofsheimer Themen auszurichten.

Wir sind zuversichtlich, dass wir in den nächsten Jahren gemeinsam mit unseren Unterstützenden viele Abend-Gespräche führen können. Mögen die grundsätzliche Beschäftigung unseres Publikums mit dem Thema, das Angebot zum Kennenlernen einiger wichtiger Akteur*innen der Baukultur und die Möglichkeit, im Rahmen der Diskussion Fragen zu stellen, dazu führen, sich für Baukultur zu interessieren, sie mündig einzufordern, verantwortungsvoll dafür zu streiten und nicht zuletzt selbst mit zu gestalten. Unser Wunsch: dass die ‚Gespräche zur Baukultur‘ fortan auf Augenhöhe geführt werden können.

Text: Johannes Sack

 

Bisherige Themen:

„Fokus: INNENSTADT – Attraktives Zentrum, selbstbewusste Stadtgesellschaft?“

mit Christian Brückner, Brückner & Brückner Architekten, Würzburg / Tirschenreuth und Wulf Kramer, Yalla Yalla! – Studio for Change, Mannheim

„Fokus: BESTAND – Ressource, Ort, Wirklichkeit“

mit Kerstin Müller, baubüro in situ AG, Basel, und Reiner Nagel, Bundesstiftung Baukultur, Potsdam

 

Nächster Abend am 14. Juni 2021, vorauss. per Zoom:

„Fokus: REGION“, u.a. mit Kerstin Faber, IBA Thüringen, und Juliane Hofmann, Fachwerk5Eck, Northeim

 

Zum Autor:

Johannes Sack, Architekt, hat gemeinsam mit der Architekturjournalistin Mariella Schlüter (Berlin) Anfang des letzten Jahres die Initiative „Kaleidoskop Tauberbischofsheim“ gestartet. Die Veranstaltungsreihe „Kaleidokop Tauberbischofsheim – Gespräche zur Baukultur“ findet im Kunstverein Tauberbischofsheim in Kooperation mit dem Bund Deutscher Architekten (BDA) Heilbronn-Franken statt und stellt eine öffentliche Plattform zur Diskussion über Baukultur, Architektur und Stadtentwicklung in Tauberbischofsheim dar.

Mariella Schlüter und er haben sich während des Masterstudiums ‚Architektur und Stadtplanung‘ an der Universität Stuttgart kennengelernt. Johannes Sack ist in Tauberbischofsheim aufgewachsen und arbeitet nach Stationen in Oldenburg, Stuttgart und Berlin momentan als wissenschaftlicher Mitarbeiter in Lehre und Forschung an der TU München, Prof. Nagler, sowie an eigenen Projekten.

 

Quellen:

(1) https://www.bda-bund.de/architecturepage/bda-architekturfuehrer/?location=97941

(2) Bundesstiftung Baukultur, Baukulturbericht 2016/17 – Die Ausgangslage (S.18)

(3) Statistisches Landesamt Baden-Württemberg, Bevölkerungsvorausrechnung im Kreisvergleich, 2017-2025, Main-Tauber-Kreis: 2,2%. https://www.statistik-bw.de/B

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Bild Haus Heimberg. Foto: Johannes Sack
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