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Urban Landscape
19. August 2021

Monaco, seine Verdichtung und der Umweltschutz

Architekturfotograf Philip Kistner hat einen Bildband herausgebracht, der zeigt, wie das kleine Fürstentum Monaco mit dem vorhandenen Platz umgeht und welche Rolle dabei der Umweltschutz spielt. Wir haben mit ihm darüber gesprochen.

In Monaco wird seit 2015 ein neuer Stadtbezirk namens Mareterra gebaut. Die Fertigstellung ist für 2025 geplant. Der Bezirk soll etwa sechs Hektar groß sein. Er ist auch unter den Namen “Anse du Portier”, “Le Portier” oder “Portier Cove” bekannt.  Das Projektteam von Mareterra trägt den Namen S.A.M. L’Anse Du Portier und wird unter anderem von den Architekten Denis Valode, Renzo Piano und Michel Desvigne geleitet. Dieses Team ist für das Design, die Entwicklung, Finanzierung und Vermarktung verantwortlich. Wir haben mit Philip Kistner über das Projekt und seine Fotoserie über Monaco gesprochen. 

Monaco baut gerade einen neuen, sechs Hektar großen Stadtbezirk namens “Mareterra” ins Mittelmeer, der das Stadtgebiet in südöstlicher Richtung erweitern soll. Bereits vor dem Baubeginn hast Du in Deinem Bildband dokumentiert, wie der zweitkleinste Staat der Welt mit seinem Platzproblem umgeht. Wie hast Du das zwei Quadratkilometer kleine Fürstentum erlebt, als Du dort warst?

Schon damals habe ich erfahren und fotografiert, welche Folgen starkes Wachstum auf dieser äußerst begrenzten Fläche hat. Daher machte ich genau dieses Thema zum Titel meines Bildbands: Verdichtung. Mich hat insbesondere fasziniert, welche architektonischen Antworten auf die Herausforderungen der Bauherren und Bürger gefunden werden. Luxusimmobilien und Großzügigkeit in Einklang mit quasi nicht vorhandenen Lebensraum zu bringen, scheint eine fast unlösbare Aufgabe zu sein. Dennoch finden kreative Architekten, Stadt- und Landschaftsplaner scheinbar immer wieder neue Möglichkeiten, die Widersprüche der Stadt zu lösen. Monaco behalte ich daher als äußerst kontrastreich in Erinnerung: beeindruckend und bedrückend zugleich.  

Klimaschutz scheint für das Staatsoberhaupt Monacos, Fürst Albert II., ein sehr wichtiges Thema zu sein. Seine Stiftung “Fondation Prince Albert II de Monaco” (kurz FPA2) setzt sich weltweit für Umweltschutz und Nachhaltigkeit ein. Bei der “Association Monégasque pour la Protection de la Nature” (kurz AMPN) und der “Billion Tree Campaign” der UNEP ist er jeweils Schirmherr. Inwiefern wird das in der Stadt sichtbar? 

Sichtbar wird Fürst Albert II. Umweltengagement etwa anhand der 3D-gedruckten künstlichen Riffe im Meeresschutzgebiet des Larvotto vor der monegassischen Küste. Von Anfang 2019 bis Ende 2022 wird untersucht, ob die alternativen Riffe eine Besiedlung durch die Fauna ermöglichen. Hinzu kommen einige Pilotprojekte, die er im Rahmen des Programms “Extended Monaco” umsetzen lässt. Insbesondere die Themen E-Mobilität und Smart City werden das Stadtbild nachhaltig verändernDie Themen Umweltschutz und Nachhaltigkeit scheinen in der Familie zu liegen: Denn das bereits 1899 von Fürst Albert I. eröffnete Ozeanographische Museum und Institut am Hang von Monaco-Ville ist seit 2002 eine offizielle Partnerorganisation des ACCOBAMS – ein internationales Umweltabkommen, unter anderem zum Schutz des Mittelmeeres. Dort werden nicht nur zahlreiche meeresbiologische Exponate ausgestellt, sondern auch im Gebiet der Meereskunde geforscht. Auch Fürst Rainer III., der Vater Fürst Alberts II., galt als Umweltschützer. So gründete er mit dem RAMOGE-Abkommen zum Schutz der französisch-italienischen Mittelmeerküste schon 1976 eine Umweltzone. Fürst Albert II. scheint also die Arbeit seiner Vorfahren fortsetzen zu wollen. Für sein Engagement im Naturschutz erhielt er Anfang 2020 im Rahmen des Ludwig-Erhard-Gipfels den Freiheitspreis der Medien. Die übrigen Projekte der Stiftung sind in Monaco selbst nicht sichtbar, da sie in anderen Regionen der Welt umgesetzt werden. 

Steht das Projekt Mareterra nicht im Konflikt mit den Klimaschutz- und Nachhaltigkeitsbemühungen, insbesondere von Fürst Albert II. und seiner Stiftung?

Da gibt es durchaus einige Konflikte. Bei dem Projekt handelt es sich schließlich um Landgewinnung über das Mittelmeer – die Verantwortlichen greifen also erheblich in den Lebensraum von Tieren und Pflanzen ein. Zwar wurde ein Meeresbiologe samt Team beauftragt, alle Meerestiere und -pflanzen – darunter drei geschützte Arten – an unberührte Orte im Mittelmeer zu versetzen. Ob sie diesen unfreiwilligen Umzug überleben, kann der Meeresbiologe jedoch laut eines Interviews mit der ZEIT erst in einigen Jahren beurteilen.  Auf der anderen Seite verfügen die Betonpylonen, auf denen der sechs Hektar große Stadtbezirk gebaut wird, über eine raue Oberfläche, so dass sich dort hoffentlich bald wieder Meerestiere und -pflanzen ansiedeln werden. Zudem werden die einzelnen Bauphasen von einem weiteren Meeresbiologen und Umweltschützer beaufsichtigt, um die Umweltstandards laut Projektwebsite einzuhalten. Es sind wohl zwei Parks mit insgesamt 800 Bäumen angedacht: La Pinède und La Vallée. Sie befinden sich inmitten des neuen Stadtbezirks. Über den gesamten Bezirk verteilt sollen 9.000 Quadratmeter Solarpanele und 200 Ladestationen für Elektroautos verbaut werden. Die Hälfte des Regenwassers soll wiederverwendet werden. Hierzu steht ein 600 Kubikmeter großer Teich zur Verfügung. Aufgrund der geplanten Maßnahmen kann man also durchaus die nachhaltige Handschrift des monegassischen Fürsten erkennen. Was ich wie die meisten Kritiker des Projektes bedenklich finde: Bis heute haben sich weder die Verantwortlichen des Bauprojekts, noch die monegassischen Stiftungen oder gar Fürst Albert II. selbst zu den möglichen ökologischen Folgen geäußert. Die entsprechende Umweltverträglichkeitsprüfung ist nicht einsehbar.

In Monaco gibt es das sogenannte „Extended Monaco“ Programm, welches den technologischen Fortschritt der Stadt und auch das Thema Nachhaltigkeit im Fürstentum vorantreiben soll. An welchen Maßnahmen kann man dies sehen? 

Hinsichtlich Nachhaltigkeit geht es in dem Programm vor allem um Digitalisierung, Vernetzung und Mobilität. Hier fiel der im Sommer 2019 selbstfahrende, elektrische Shuttlebus für bis zu 15 Passagiere auf. Mit dem Pilotprojekt testete Monaco ein mögliches Zukunftsszenario für Mobilität.  Den technologischen Fortschritt kann man unter anderem an den 33 smarten Bushaltestellen sehen, die im Laufe des Jahres 2019 in Betrieb genommen wurden. Auf 32 Zoll großen Touchscreens laufen nicht nur 10-sekündige Werbeclips, sondern sie bieten zudem Ankunfts- und Abfahrtszeiten in Echtzeit sowie interaktive Informationen und News der Stadt. An den Haltestellen können Smartphones geladen und der eingebaute kostenlose WLAN-Hotspot genutzt werden. Sie sollen zudem über Sensoren verfügen, um etwas die Luftqualität zu messen und an die entsprechende Behörde weiterzuleiten. Die übrigen Projekte des Programms sind am Stadtbild nicht erkennbar. Sie beziehen sich vor allem auf den Ausbau der Infrastruktur und Bildungsangebote für Kinder: Beispielsweise lernen Kinder seit 2019 bereits in der Grundschule zu programmieren.

Schon in den 1970er Jahren hat man schon mal dem Meer etwa 30 Hektar Land abgerungen und den Stadtteil Fontvieille gebaut. Nach Protesten wurde als „Ausgleich“ damals das Reservat Larvotto im Osten des Fürstentums erweitert, gibt es für das neue Projekt auch ähnliche Bestrebungen? 

Tatsächlich wird in Monaco seit 1880 Land aus dem Mittelmeer gewonnen. Das Fürstentum wurde auf diese Weise bisher fünfmal um insgesamt mehr als 40 Hektar vergrößert. Mareterra ist demnach bereits das sechste Projekt für Neulandgewinnung mittels Meeresbau und erweitert das Territorium abermals um sechs Hektar. Damit sind mehr als 20 Prozent des Territoriums durch Neulandgewinnung entstanden. Bisher gab es in Monaco noch keine öffentlichen Proteste gegen das Projekt. Möglicherweise liegt das daran, dass der gesamte neue Stadtteil als Eco District angelegt ist, ziemlich üppig begrünt wird und der Larvotto Beach durch Renzo Piano Building Workshop neugestaltet wurde. Oder es liegt daran, dass sich Fürst Albert II. an vielen (anderen) Umweltschutzmaßnahmen beteiligt. Nicht einmal Greenpeace oder die französische Fondation Nature et Environment (FNE) haben sich bisher zu dem Projekt geäußert.

Du hast ja die städtische Entwicklung fotografisch in einem Bildband festgehalten, was ist dir dabei besonders aufgefallen? 

Mir ist erst vor Ort aufgefallen, wie eng und dynamisch der Stadtstaat tatsächlich ist. Natürlich hat das selbst auferlegte Thema meinen Blick darauf fokussiert, dass ich fast nur noch auf Anzeichen für Verdichtung geachtet habe. Mit dem Thema im Kopf fiel es mir jedoch besonders leicht, die Kontraste und Widersprüche Monacos zu erkennen und abzubilden. Die vielen Baustellen haben das dynamische Bild nochmals verstärkt.

Warum hast du gerade Monaco ausgewählt? 

Wegen der starken städtebaulichen Kontraste, sprich dem Spannungsfeld zwischen zwischen Luxusdomizilen und knappen Wohnraum: Denn im Gegensatz zu den Bildern, die wir aus Hochglanzmagazinen kennen und Monaco als lebens- und erstrebenswerte Luxus-Enklave darstellen, ist mir eine gänzlich andere Seite der Stadt aufgefallen. Nämlich die an vielen Stellen bröckelnde Fassade eines städtebaulichen Phänomens und Problems. Neben Architektur interessiere ich mich auch für Wirtschaft: In Monaco trifft eine hohe Nachfrage nach Wohnraum  auf ein durch natürliche Faktoren begrenztes Angebot. Das ist also ein Paradebeispiel für wirtschaftliche Verknappung des Angebots – und damit stetig steigende Preise.

Über welchen Zeitraum hast du dabei deine Bilder aufgenommen? Und konntest du dabei schon Veränderungen oder Auffälligkeiten erkennen? 

Ich war für das Projekt insgesamt dreimal für jeweils eine Woche dort. Insgesamt konnte ich also den Veränderungsprozess der Stadt über etwas mehr als ein Jahr begleiten. Auffällig war die ständige, um jeder Ecke lauernde Bauaktivität – Absperrungen, Baugerüste und Baukrane, die in den Himmel ragen. Kaum etwas unterstreicht Stadtveränderung stärker. Es ist also abzusehen, dass viele Orte im Fürstentum in einigen Jahren nicht mehr wiederzuerkennen sein werden. So wurde im Vergleich zum letzten Mal, als ich dort war, der Blick auf das Meer bereits verbaut: Direkt vor der Küste der Stadtbezirke Monte-Carlo und Larvotto entsteht ja gerade das neue Quartier Mareterra. 

Wirst Du in naher Zukunft zurückkehren, etwa um die neuesten Entwicklungen des Stadtstaates festzuhalten? 

Unbedingt! Da ich Anfang des Jahres in eine High-End-Drohne investiert habe, werden nun gänzlich neue Perspektiven möglich, die ich für meinen ersten Bildband leider nicht realisieren konnte. Auch wenn Drohnenaufnahmen aufgrund des regen Hubschrauberverkehrs eine große Herausforderung wären, reizen mich die neuen Blickwinkel schon sehr.

 

Interview: Mandana Bender

 

Hier gehts zum Projekt “MONACO – Die Verdichtung” von Philip Kistner.

 

Fotos: Philip Kistner
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