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Architecture
13. Februar 2023

Junge japanische Architektur

Zur genüge beschäftigen wir uns mit den vorherrschenden Problemen bei Bauaufgaben und in der Architekturbranche in Europa. Wie es dabei auf anderen Kontinenten aussieht, kreuzt dabei selten unsere Gedanken. Das Buch Make Do With Now soll das ändern — und tut dies auf eine aufschlussreiche und eindrückliche Weise, unterstrichen von unzähligen Abbildungen und Fotos.

Auf 230 Seiten wird die junge Architektur in Japan vorgestellt. Das Konzept hat dabei Kurator Yuma Shinohara ausgearbeitet. Die Christoph Merian Stiftung unterstützte dieses Buchprojekt finanziell, das zur gleichnamigen Ausstellung des Schweizer Architekturmuseum (S AM) Basel gehört.

Die Ausstellung ist noch bis 12. März 2023 zu besichtigen.

Close up.

Shinohara zeichnet ein Bild von junger Architektur in Japan, die sich nicht nur ästhetisch, sondern auch politisch positioniert. “New Innocence” nannte man den reduzierten, klaren und bis ins Detail durchorchestrierten Architekturstil, der weltweit für Aufsehen und Anerkennung sorgte. Nun sei damit jedoch Schluss. Junge Architekturschaffende sehen sich schwierigen planerischen und handfesten gesellschaftlichen Herausforderungen ausgesetzt. Im nachverdichteten, urbanen und suburbanen Raum gilt es teilweise Lücken zu füllen, teilweise müssen aber auch Umnutzungen von Bestand gedacht oder gar erst erfunden werden. Hierfür muss die zeitgenössische Architektur also nicht nur Antworten finden, sondern auch Haltung beweisen. Die junge Architektur in Japan, so Shinohara, schreckt vor dieser schwierigen Aufgabe nicht zurück, sondern exponiert sich in einem bisher eher unverhandelten Spannungsfeld von Gegenpolen: Persönliche Entwicklung und Ausdruck gegen ökologische und gesellschaftliche Verantwortung.

Durch die historischen Ereignisse wie das Erdbeben und die nukleare Katastrophe von Fukushima ist den jungen Architekturschaffenden die Fragilität ihrer Lebensrealität bewusst. Dadurch entsteht ein anderer Blick auf Architektur: Weg vom monolithischen Kunstwerk und hin zu einem prozessualen Architekturverständnis, das sich weniger der Perfektion verpflichtet fühlt, sondern mehr den Bewohner:innen und der Gesellschaft. Shinohara zeichnet ein sensibles Bild der jungen Architektinnen und Architekten des asiatischen Inselstaats. Dabei bedient er sich auch der westlichen Philosophie, zum Beispiel wenn er Bruno Latours Akteur-Netzwerk-Theorie und Ivan Illichs Schulkritik als häufig verwendete Zitate im japanischen Architekturgebaren erkennen will. Die japanische Tradition der Müllvermeidung (“mottainai” — dt.: “Was für eine Verschwendung”) dockt dabei problemlos an die westlichen Trends der Kreislaufwirtschaft, des zirkulären Bauens sowie der Vintage-Gesellschaft an.

So unähnlich scheint man sich dann doch gar nicht zu sein. Jedoch: Die japanischen gebauten Strukturen sind anders aufgebaut als die meisten westlichen. Diesem Thema nimmt sich beispielsweise der Stadtplaner Shin Aiba an. In seinem Text “Designing Japanese Cities and Architecture in a Period of Population Decline” geht es um die bauliche Reaktion auf eine als suboptimal eingestufte Entwicklung: den Bevölkerungsrückgang. Im rapide nachverdichteten Raum entstanden aus den landwirtschaftlich genutzten Flächen schnell vereinzelte Häuserhaufen, deren Zwischenräume sukzessive nachgefüllt wurden. So entwickelten sich die typischen engen und verwinkelten, archaisch wirkenden Gässchen, die man in unseren Längengraden aus Mangas, Animes und Filmdokumentationen kennt. Während die Wachstumsperiode im urbanen Umfeld mittels großmaßstäblicher Projekte gelöst wurden, sieht Aiba die Lösung des gegenteiligen Trends in der mikroinvasiven Intervention.

Das Buch mit dem zeitgenössischen Layout- und Satzdesign kommt etwas grobschlächtig daher. Die gut kuratierten und text-fokussierten Beiträge würden sich durchaus ein leichter lesbares Schriftbild verdienen, denn hier wurde mit feinem Gespür das herausdestilliert, was westliche Leser:innen brauchen, um die japanische (Architektur-)Kultur ein Stück weit besser verstehen zu können. Oft würde man sich auch eine Bildbeschreibung zu den reichlich vorhandenen Fotografien der Projekte wünschen. Im Großen und Ganzen überzeugt diese Publikation jedoch — besonders inhaltlich. Wer sich ein Bild über innovative zeitgenössische und vor allen Dingen junge Architektur in Japan machen will, dem sei dieses Buch empfohlen.

Es ist 2022 in englischer Sprache im Christoph Merian Verlag erschienen und hier erhältlich.

Titelbild: Make Do What Now. New Directions in Japanese Architecture. Photo: cmv
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