Heimaten. Eine Ausstellung und Umfrage
Nur wenige Begriffe sind emotional so aufgeladen, politisch wie kommerziell so instrumentalisiert, sentimental so besetzt und so subjektiv wie dieser. Die eine, für alle Menschen gleichermaßen gültige Definition von Heimat gibt es nicht. Nicht nur darum trägt die Ausstellung den Titel „Heimaten“, einen Plural, der im alltäglichen Sprachgebrauch noch ungewohnt, aber in seiner Bedeutung dringend notwendig ist.
Ausgehend von dieser Annahme ist die Ausstellung „Heimaten“ von Grund auf offen, partizipativ und vieldeutig angelegt. Ganz bewusst gibt das kuratorische Team keine abschließenden Antworten darauf, was Heimaten sind oder sein könnten. Stattdessen werden Fragen gestellt, gebündelt in sieben zentrale Themen, die die Ausstellung strukturieren. Jedes der rund 150 Exponate – von der antiken Keramik bis zum Computerspiel – ist einer von sieben Hauptfragen zugeordnet und dient dem Publikum als Denkanstoß und Diskussionsstoff zur Beantwortung auch differenzierterer, untergeordneter Fragen. Die Besucher:innen sind eingeladen, ihre Antworten per Smartphone schriftlich festzuhalten. Über ein vom niederländischen Designstudio commonplace eigens für die Ausstellung entwickeltes Modul wird diese Umfrage umgehend an die Wände projiziert und damit Teil von „Heimaten“.
„Geliehene Gemeinschaft“
In der Ausstellung finden sich 14 rote Podeste. Diese werden sich im Laufe der Ausstellung durch die Audiospur „Geliehene Gemeinschaft“ von Nuray Demir und Michael Annoff füllen. Die Audiospur deutet an, dass die Debatte darum, was Heimat ist, niemals abgeschlossen ist. Sie ist zudem ein Sinnbild für Lücken in musealen Sammlungen, denn der Heimatdiskurs hat viele Menschen bislang übersehen und ausgeschlossen. Um diese performativen Leihgaben zu erleben, kann das Publikum selbst aktiv werden. Vor dem geistigen Auge entsteht die „Geliehene Gemeinschaft“.
Zur Eröffnung präsentierte „Heimaten“ Objekte, die den Besucher:innen beim Nachdenken über folgende Hauptfragen helfen sollen: Ist Ihre Heimat … ein Ort? … eine Gemeinschaft? … etwas Sinnliches? … ein Staat? … ein Grund zur Sorge? … mit Verlust verbunden? … etwas Neues? Während es anfangs eher um persönliche Vorstellungen, Assoziationen und Erinnerungen geht, werden die Fragen zunehmend komplexer, versuchen sich einem kollektiven Verständnis von Heimat zu nähern und widmen sich zuletzt der gestalterischen Kraft einer Heimat, die nicht vorgefunden, sondern – freiwillig oder zwangsweise – neu aufgebaut wird.
„Heimatobjekte“
Gezielt werden Exponate auch als bewusst gestaltete „Heimatobjekte“ enttarnt. Der Wald etwa dient immer wieder der kommerziellen und politischen Instrumentalisierung von Heimatgefühl, wie eine Auswahl an Plakaten von den 1920ern bis zur Gegenwart belegt. Neben altgriechischen und italischen Keramiken sowie dem Spiel „Papers, Please“, in dem die Spieler:innen zu Grenzbeamt:innen eines fiktiven autoritären Staates werden, wartet die Ausstellung „Heimaten“ mit zahlreichen Highlights auf.
Trachten spielen ebenso eine Rolle wie Grafik, Film, Typografie, Fotografie, Möbel- und Produktdesign bis hin zur App. Eine reich geschnitzte Tür aus Kaliningrad (um 1600) etwa führt in eine weit entfernte Heimat im Königsberg der Vergangenheit. Ein Schulheft aus dem Jahr 1938 und die dazugehörende Graphic Novel der US-Deutschen Nora Krug (2018) zeigen die nicht immer konfliktfreie Heimat, die die eigene Familie darstellt.
Die Compilation „Songs of Gastarbeiter“ folgt der Spur der Musikszene türkischer Einwander:innen in den 1970ern, die vom deutschen Mainstream vielfach ignoriert wurde. Leonhard Kerns barocke Elfenbeingruppe „Adam und Eva nach der Vertreibung aus dem Paradies“ (1645–1650) sowie Lyonel Feiningers vieldeutiges Kinderspielzeug „Die Stadt am Ende der Welt“ (1919–1921) sprechen das Abhandenkommen von Heimat an, das mit dem Verlust von Unschuld und der vermeintlich „guten alten Zeit“ einhergeht.
„Entomarium (extinct)“ schließlich, eine interaktive Lichtinstallation des Wiener Designstudios mischer’traxler und Auftragsarbeit der Stiftung Hamburger Kunstsammlungen für die Ausstellung „Heimaten“, widmet sich der Zerstörung von Heimat durch das anhaltende Verschwinden der Artenvielfalt in Norddeutschland.
Dr. Carsten Brosda, Senator für Kultur und Medien: „Gerade rechtzeitig für diese sehr sehenswerte Ausstellung konnten die Hamburger Museen und das MK&G wieder ihre Türen für das Publikum öffnen. Die Ausstellung ‚Heimaten‘ lebt in besonderer Weise von dem direkten Austausch mit dem Publikum. Sie fordert uns auf, sich mit der eigenen Vorstellung von ‚Heimat‘ auseinander zu setzen. Selbst festzustellen, dass es diesen einen definierbaren Begriff nicht gibt, zu realisieren, dass wir ganz viele Heimaten in uns tragen, sich auszutauschen mit den Ideen und Empfindungen der anderen Besucherinnen und Besucher und zu erkennen, welche Rolle Objekte bei dieser Sinnsuche spielen. Dies alles beginnt, wenn wir uns auf die Fragen von Amelie Klein und dem Kuratorinnenteam einlassen und die Objekte der Sammlung des MK&G daraufhin genauer oder anders betrachten. Die Ausstellung ‚Heimaten‘ zeigt auf beste Weise, dass es im Museum immer auch um uns und unser gesellschaftliches Miteinander geht. Das MK&G führt damit konsequent seinen Weg der Öffnung fort, mit dem es in den Diskurs in die Stadtgesellschaft hinein geht. So sieht ein offenes Museum aus!“