Gutes Zeugnis für den ländlichen Raum
Vor Corona galt: Die Städte werden immer weiter wachsen, während die Dörfer schrumpfen. Aber durch Corona hat die Stadt viel an Reiz verloren. Gibt es eine Möglichkeit, Stadt und Beruf voneinander zu entkoppeln? Wie kann man mehr Menschen dazu bringen, aufs Land zu ziehen und damit die Städte zu entlasten? Wie kann man das Leben auf dem Land für Städter attraktiver machen? In Baden-Württemberg – anders als in anderen Regionen – erkennt die Politik im ländlichen Raum ein enormes wirtschaftliches Potential, das es zu nutzen gilt. Baden-Württemberg hat – anders als andere Regionen – gute Chancen, seine ländlich geprägten Räume zukunftsfähig weiterzuentwickeln. Das zeigt die Studie „Entwicklung der ländlichen Räume in Baden-Württemberg“, die jetzt vom Institut für Raumordnung und Entwicklungsplanung an der Universität Stuttgart und dem Institut für Landes- und Stadtentwicklungsforschung vorgelegt wurde.
Zukunftsrisiken seien zwar einzuräumen und werden in der Studie angesprochen, mit einer integrierten Gesamtstrategie, welche die wirtschaftliche, demografische und infrastrukturelle Entwicklung in ihren wechselseitigen Abhängigkeiten thematisiert, können Disparitäten aber auch zukünftig begrenzt und ein ‚Abhängen‘ einzelner Räume vermieden werden. Als entscheidender Faktor für die Entwicklung stellte sich der demographische Wandel heraus.
Eine gewisse Entkopplung von wirtschaftlicher und demografischer Entwicklung, die bereits in der ersten IREUS Studie festgestellt worden war, lässt sich weiterhin konstatieren. In anderen Worten, die demografische Entwicklung kann mit der starken Wirtschaft des ländlichen Raumes nicht Schritt halten. Dieses Phänomen („people don’t follow jobs“) wird auch in anderen Teilen Deutschlands und Europas beobachtet. Politik, Wirtschaft und Zivilgesellschaft müssen erkennen, dass stabile Bevölkerungszahlen im ländlichen Raum unter Status quo Bedingungen zukünftig nur durch Zuwanderung aus dem Ausland möglich sein werden. Ohne die internationale Migration hätte der ländliche Raum schon in den vergangenen Jahren Bevölkerungsverluste hinnehmen müssen.
Neben der Internationalisierung ist die Alterung ein zweiter markanter Trend des Bevölkerungsgeschehens im Ländlichen Raum. Durch die anhaltende Abwanderung jüngerer Menschen nimmt das Durchschnittsalter hier viel schneller zu als in den verdichteten Landesteilen Baden-Württembergs. Mit einem Durchschnittsalter von 43,7 Jahren war die Bevölkerung des ländlichen Raums 2016 bereits fast ein Jahr älter als die des Verdichtungsraumes. Obwohl alle Raumkategorien einen Bevölkerungszuwachs verbuchen konnten, haben sie nicht in gleichem Ausmaß davon profitiert. Während Städte und deren Randzonen ein Wachstum um 7,1 % bzw. 6,6 % im Zeitraum 1996 bis 2016 verzeichneten, fiel die Zunahme im Ländlichen Raum mit 2,8 % deutlich niedriger aus. Immerhin war im Kontrast zu anderen ländlichen Regionen Deutschlands keine Abnahme der Bevölkerung zu verzeichnen. Anhand der Ergebnisse der Studie können Gemeinden ihre Stärken und Schwächen analysieren, ihre lokalen Strategien daran anpassen und mit Nachbargemeinden zusammenarbeiten. Der ländliche Raum erwirtschaftet mehr als ein Viertel der gesamten Bruttowertschöpfung Baden-Württembergs. Dies liegt nicht zuletzt an den zahlreichen mittelständischen Unternehmen. Etwa 60 Prozent der Menschen in Baden-Württemberg fühlen sich dem Ländlichen Raum zugehörig. Mit seinen Förderprogrammen und Initiativen bietet das Ministerium für Ländlichen Raum und Verbraucherschutz zahlreiche Unterstützungsmöglichkeiten. Von zentraler Bedeutung ist das Entwicklungsprogramm Ländlicher Raum (ELR, das seit 25 Jahren für integrierte Strukturentwicklung steht. Die bereits 2011 vorgelegte Studie „Der Beitrag der ländlichen Räume Baden-Württembergs zu wirtschaftlicher Wettbewerbsfähigkeit und sozialer Kohäsion – Positionsbestimmung und Zukunftsszenarien“ des Instituts für Raumordnung und Entwicklungsplanung basierte auf einer räumlich und zeitlich differenzierten Datenbasis zur demografischen, wirtschaftlichen und infrastrukturellen Entwicklung in den ländlichen Räumen Baden-Württembergs. Die erzeugten Zeitreihen umfassten überwiegend die Jahre 1996 bis 2009.
Mit der neuen Untersuchung wurde dieser Datenbestand fortgeschrieben und in Teilen erweitert. Dies erfolgte mit dem Ziel, die aktuellen Entwicklungen von Demografie, Wirtschaft und Infrastruktur aufzugreifen und neue Trends zu thematisieren. Letzteres betrifft vornehmlich die internationale Zuwanderung, die damit verbundenen neuen oder verstärkten Aufgaben der Bildung und Integration sowie der Wohnraumversorgung.
Fazit: Baden-Württemberg verfügt im Vergleich zu anderen Bundesländern und sogar im internationalen Vergleich über einen starken und attraktiven ländlichen Raum. Um die Zukunftsfähigkeit des ländlichen Raums zu erhalten, müssen die Weichen zur Bewältigung absehbarer Herausforderungen frühzeitig gestellt und vorhandene Potenziale zielgerichtet ausgebaut werden.
Hier der Link zur Studie.
Text: Martin Miersch