„Gemeinsam können wir jede Herausforderung meistern“
Physx besteht aus einer elastischen Fasermembran, die etwa 50 Zentimeter über dem Boden angebracht ist. Wenn eine Person auf die Membran tritt, nimmt die Zugoberfläche den Druck auf und die so entstandene talartige Vertiefung verfärbt sich. Für die Mitmenschen heißt das: Innerhalb der eingefärbten Sicherheitszone kann ich mich im Radius von 1, 5 Metern frei bewegen und mit anderen Personen interagieren, ohne diese oder mich mit einer möglichen Corona-Infektion zu gefährden. „Wir bewegen uns normalerweise nicht in festgefahrenen Mustern“, betonte Scotucci jüngst in einem Interview mit dem Magazin „stir wold“. Er glaube fest an die Ermächtigung der Menschen und wolle ihnen daher die Möglichkeit bieten, sich in einem Areal frei zu bewegen.
Für die Erfindung von Physx habe ihn das Raum-Zeit-Netz inspiriert, in dem ein astronomischer Körper in dem ihn umgebenden Netzwerk je nach Masse und Schwerkraft einen „Interessenbereich“ definiere. „Ich interessiere mich sehr für Astrophysik und habe mich für dieses Projekt von einem der mächtigsten wissenschaftlichen Konzepte inspirieren lassen – der Schwerkraft”, so Scotucci. Die Membran kommt ganz ohne Elektrizität und Mechanik aus, kann überall installiert werden und funktioniert unter allen Umgebungsbedingungen, innen wie außen, an einem regnerischen Tag ebenso wie bei hellem Sonnenschein.
Kaum öffentlich bekannt geworden, fand Scotuccis Projekt eine immense Resonanz: „Ich wurde von Bürgermeistern, Kuratoren, Entwicklern und Journalisten aus der ganzen Welt kontaktiert,“ freut er sich. Derzeit arbeitet er unter Hochdruck mit internationalen Instituten und Unternehmen an Prototypen der Spezialmembran. „Mein Ziel ist es, ein Open-Source-Material ohne Urheberrecht zu entwickeln, das jeder nutzen kann, der dem Coronavirus trotzen möchte“. Oft haben Scotuccis futuristische Arbeiten eine soziale Botschaft, etwa um für die globale Erwärmung oder den Anstieg des Meeresspiegels zu sensibilisieren. In einem ersten Schritt analysiert er das jeweilige Problem und informiert sich über den aktuellen Wissensstand. Dann überlegt er: „Wie kann ich dieses Problem überlisten?“ Die Antwort sei nie eine plötzliche Offenbarung. Vielmehr versuche er das Problem aus jeder möglichen Perspektive anzugehen und „Iteration für Iteration“ jede Möglichkeit zu bewerten. Ist er überzeugt, die beste Lösung gefunden zu haben, sucht er sich die passenden Partner für die Umsetzung. Zum Beispiel Firmen, die mit dem Material seiner Wahl Erfahrung haben. So auch bei Physx. Die Membran muss überzeugend funktionieren. Schließlich ist sie das Medium, das sein Konzept transportiert.
Architektur und Design habe ihn schon immer fasziniert, weil sie die Infrastrukturen, die Lösungen und letztendlich die Gesellschaft für die Welt von morgen beeinflussen könnten, erklärt er. Sein Ziel ist es, den Menschen zu helfen, ein Problem zu erkennen und sie zum Handeln zu bewegen. Einige zögerten oder hätten Angst, ihr Verhalten zu ändern: „Doch wir brauchen alle Beteiligten – gemeinsam können wir jede Herausforderung meistern.“ In diesen Tagen, in dem Deutschland sich mitten in einen neuen Corona-Lockdown befindet und einen langen sorgenfolgen Winter vorbereitet, klingen Cosimo Scotucci Worte ungemein tröstlich.
Text: Dr. Inge Pett