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Architecture
05. September 2020

Fünf Partner in drei unterschiedlichen Städten

Das Architektur-Kollektiv Fosbury Architecture arbeitet von drei unterschiedlichen Städten aus an Wettbewerben, Kulturprojekten und kleinen Renovierungen. Dank ihrer durch das Internet verbreiteten Forschungsarbeiten haben die Architekten in wenigen Jahren große Sichtbarkeit erreicht. Wir sprachen mit einem der Partner: Giacomo Ardesio

Die Terminvereinbarung zog sich diesmal etwas länger hin als üblich. Das Büro Fosbury Architecture sitzt in Mailand – zumindest steht das auf ihrer Website –, doch der erste Rückruf stammt von einer niederländischen Nummer. „Wir können uns in Genua, Rom, Rotterdam oder Hamburg treffen“, erklärt eine junge Stimme. Vier Tage Verhandlungen vergehen. Letztendlich findet das Interview in Rom statt – allerdings am Hauptbahnhof. ­Giacomo Ardesio hat anderthalb Stunden Zeit. Danach muss er mit der S-Bahn zum Flughafen. 

Diese Anekdote allein könnte reichen, um den Alltag des Büros Fosbury Architecture zu beschreiben. Fünf Partner in drei unterschiedlichen Städten, Wettbewerbe und Projekte europaweit, Skype-Calls und Flüge: ein eher untypisches Architekturbüro. Büro ist an der Stelle ohnehin der falsche Begriff. Es handelt sich um ein Kollektiv – so möchten die Architekten genannt werden. „Ein Kollektiv konzentriert sich auf die Forschung und nutzt Wettbewerbe als Instrument, um die Theorie zu testen“, begründet das Giacomo, während er vor seinem Espresso sitzt. 

Die Fernarbeit

Fosbury Architecture hat sich während der Studienjahre an der Mailänder Architekturfakultät gebildet. „Seit 2013 haben wir als offener und unstrukturierter Freundeskreis an unterschiedlichen Wett­be­werben teilgenommen. Zwei Jahre später, als wir alle unseren Abschluss hatten, wurden wir beim Europan 13 für die niederländische Stadt Leeuwarden mit dem ersten Preis ausgezeichnet. Der Wettbewerbs­lohn diente dazu, den ersten Arbeitsraum zu mieten – es war praktisch die offizielle Gründung des Kollektivs“, erzählt Giacomo. Nachdem einige Architekten in den Anfangsjahren das Kollektiv verließen, besteht Fosbury nun aus fünf Partnern: Alessandro Bonizzoni (*1988), Veronica Caprino (*1988), Giacomo Ardesio (*1987), Claudia Mainardi (*1987) und Nicola Campri (*1989). Während die beiden Ersten tatsächlich in Mailand wohnen und dort unterschiedlichen Projekten nachgehen, arbeiten die anderen im Ausland in internationalen Architekturbüros. Aufgrund ihrer Jobsituation widmen sich die Architekten dem Kollektiv in ihrer Freizeit. „Eigentlich würden wir gerne alle in unserer Heimatstadt wohnen und nur an den Fosbury-Projekten arbeiten. Das ist aber aus finanziellen Gründen aktuell unmöglich. Als junger Architekt in Italien muss man sich irgendwie behelfen.“ 

Dass das Kollektiv seine Projekte derzeit aus der Ferne entwickelt, liegt auch an der Herkunft der Architekten. „Wir haben alle in Mailand studiert, sind aber keine Städter. Eigentlich kommen wir aus der traurigen Provinz“ erzählt Giacomo schließlich lachend. 

Provinz, das bedeutet: keine Kontakte, keine Bauherren-Freunde, kein Projektauftrag aus der Familie nach dem Studium. Ein Netzwerk mussten sich die Architekten ganz neu aufbauen. Ihren Ruf als „Loser“ haben Fosbury kurzerhand zu ihrer Handschrift gemacht. Daraus entsprang auch die Namenswahl: Fosbury Architecture bezieht sich auf den amerikanischen Leichtathleten Dick Fosbury. Der Hochspringer erfand eine neue Sprungtechnik. Dank ihr gewann er 1968 die Goldmedaille bei den Olympischen Spielen von Mexiko-Stadt. „Dick Fosbury war ein mittelmäßiger Athlet, er gelangte aber an die Spitze mit einer neuen, intuitiven und vor allem unerwarteten Technik“, sagt Giacomo. „Mit ihm identifizieren wir uns gerne.“ In Mailand haben sie bei anderen Kollektiven wie Baukuh oder für die ­Theoriezeitschrift San Rocco gearbeitet. Vor allem aber haben sie von Anfang an das große Potenzial des Internets genutzt, um ins Blickfeld der Öffentlichkeit zu treten. Die Resultate dieser Strategie folgten bald. 2015 bekamen sie einen Anruf aus den USA: Die Architektur-biennale in Chicago lud sie als Teilnehmer ein. Seit 2018 sind auch gebaute Projekte hinzugekommen – zurzeit Ausstellungen und Renovierungen.

In Fosburys Werk lassen sich zwei unterschiedliche, aber stark miteinander verbundene Phasen ablesen. In der ersten haben sie durch Wettbewerbe für Porto, Turin und Leeuwarden mit dem öffentlichen und städtischen Raum experimentiert. In der zweiten Phase haben sie sich für das Wohnen und die Wohnformen in Zeiten der Krise und der Sharing Economy interessiert. Oft aber vermischen sie diese zwei Themen miteinander. Bei dem Europan-Wettbewerb war zum Beispiel die ­Fragestellung, wie die Wohnformen der jungen Generationen den öffentlichen Raum in niederländischen Städten prägen. Für die Chicago Architecture Biennal haben die Architekten das Studiolo des Federico da Montefeltro (1476) neu interpretiert, um das Thema der Raum­repräsentation zu reflektieren. Die zentrale Frage war dabei: Wenn man durch AirBnb, Instagram und YouTube den Wohnraum und die Privatsphäre zur Geldmaschine machen kann, welche Folgen hat das auf die Lebensweise und wohin verschiebt sich die Grenze zwischen öffentlich und privat? 

Auch in den Wohnungsrenovierungen, einer Nebenaktivität des Büros, bleibt die Recherche am wichtigsten. Kürzlich hat das Kollektiv eine Wohnung in Mailand fertiggestellt. Bei dem Projekt haben sie das Potenzial von Möbeln, die einen Raum definieren, erforscht – ein an sich altes Thema, mit dem vor allem in den 1970er-Jahren Archizoom, Ettore Sottsass und Radical Design experimentierten. Auch wenn die Prämisse dieselbe ist, hat sich dessen Ästhetik radikal verändert. Die weißen Wände, die pastellfarbenen Möbel und exotischen Pflanzen der Fosbury- Wohnung kommen der typischen Instagram-­Ästhetik sehr nahe. Weist man Giacomo darauf hin, dass es genau das ist, was die jungen Architekten in einer anderen Forschungsarbeit kritisieren, gibt er zu: „Das kann sein“. Diese Inkonsequenz mag vielleicht daran liegen, dass die Wohnung eines der ersten Projekte und ihre Haltung damals noch nicht ausgereift war. 

Theoretische Arbeiten, Publikationen, Masterpläne, Ausstellungen, Installationen – das Portfolio der Mailänder ist groß. Es steht exemplarisch für die Lage vieler jungen Architekten in Italien, die diverse Leistungen anbieten, um die fehlenden Bauprojekte im Land zu kompensieren. In diesem Prozess der Diversifizierung wird der Architekt zum Alleskönner, der sich mit dem Kuratieren, dem Verlags­wesen, der Kunst, der Grafik, der Politik, der Theorie, dem Design, der Urbanistik und der Philosophie befassen kann. Das Kollektiv kann auf eine doppelte italienische Tradition zurückblicken – einerseits die Tradition der Alleskönner wie Gio ­Ponti, Aldo Rossi und Paolo Portoghesi, die neben ihrem Hauptberuf auch als Politiker, Maler, Designer, Kuratoren, Redakteure oder Kulturvermittler tätig waren. Andererseits auf die Tradition der Architekturkollektive, die seit dem Ende der 1960er-Jahre als Antwort auf die grundlegenden Veränderungen der Gesellschaft und der Baukultur im Land entstanden sind. 

Im Moment aber bleibt Fosbury Archi­tecture ein offener, durch das Internet verbundener Freundkreis, der sich durch unterschiedliche Kleinprojekte, Wettbewerbe und Veranstaltungen finanziert. Dabei ist nicht nur die mediale Sichtbarkeit, sondern auch die berufliche Mobilität von zentraler Bedeutung. Die Zeit reicht noch für eine Zigarette, dann muss Giacomo wieder weg.

Text: Leonardo Lella

Titelbild: Fosbury Architecture. Foto: fosbury architecture
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