Become a Member
← Alle Artikel
Architecture
23. August 2020

Die Stadt, der Mensch, die Kunst und die Architektur

Ohren galten schon immer Inspirationsquelle für Künstler. In Innsbruck ist eines als monumentaler Digitalprint am Rathaus von Dominique Perrault zu entdecken. Dort zählt es zu den wenigen künstlerischen Arbeiten mit gesellschaftspolitischer Dimension im öffentlichen Raum

Isa Genzkens Außenprojekte leben nicht nur von der Originalität des Motivs, sondern auch von ihrer physischen Größe. Einst fotografierte die bedeutende Gegenwartskünstlerin in New York weibliche Ohren. Eines davon ist als monumentaler Digitalprint (knapp sechs mal vier Meter groß) an einer Fassade des Rathauses in Innsbruck – gestaltet von dem französischen Star-Architekten Dominique Perrault – zu entdecken. Das Ohr soll eine Verbindung schaffen zwischen öffentlich und privat und zwischen dem Menschen und der formalen Organisation. Genzkens Arbeit zählt den wenigen Arbeiten mit gesellschaftspolitischer Dimension im öffentlichen Raum in der Tiroler Kapitale: Zwischen der Verwaltung im Inneren des Gebäudes und der Gemeinde bildet diese eine symbolische Brücke – und ist Zeichen einer offenen Stadtpolitik. Urbane Architektur zieht sich wie ein roter Faden durch das gesamtes Oeuvre von Isa Genzken: Die Künstlerin setzt sich mit Formen, Materialien und Oberflächen auseinander genauso wie mit gesellschaftlichen Themen. In den 1980er Jahren konzipierte sie sogenannte Weltempfänger: Betonklötze mit Antennen. Die Resonanzkörper sollten senden und empfangen.

Genzkens Werk umfasst Skulptur, Fotografie, Film, Video, Arbeiten auf Papier und Leinwand, Collagen und Bücher. Charakteristisch ist ihr analytischer Umgang. Dazu zählen Maßstabverschiebung und Montage, Fragmentierung – und Brüche, die das Altbekannte neu sicht- und lesbar machen und in neue Bedeutungszusammenhänge setzt. 2013 wurde die Universalkünstlerin im New Yorker Museum of Modern Art mit einer Retrospektive geehrt.

Ohren galten übrigens schon immer Inspirationsquelle für Künstler: Hieronymus Bosch durchbohrte ein Ohren-Paar mit einem Pfeil in seinem Triptychon „Garten der Lüste“: es soll die sogenannte „musikalische Hölle“ darstellen, und von Martin Kippenberger ist das bekannte Ohren-Statement dokumentiert: „Ich kann mir nicht jeden Tag ein Ohr abschneiden!“ Damit verwies der Junge Wilde auf Vincent van Gogh – und kritisierte den permanenten Druck der Künstler, sich immer wieder neu erfinden zu müssen.

Text: Ute Strimmer

Titelbild: Einst fotografierte Isa Genzken in New York weibliche Ohren. Eines davon ist als monumentaler Digitalprint am Rathaus von Dominique Perrault in Innsbruck zu entdecken. Foto: NXT A
Friends Friends Friends Friends Friends Friends Friends