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Design & Interior
19. Januar 2020

Das Sitzen einer Zeit verkörpern

Das Museum für angewandte Kunst (MAK) in Wien erzählt derzeit mit der Ausstellung „Bugholz, vielschichtig – Thonet und das moderne Möbeldesign“ die Geschichte der seit 200 Jahren erfolgreichen Möbelmarke nach. Man erfährt darin aber auch, dass sich Architekten wie Otto Wagner oder Josef Hoffmann an Bugholzmöbeln versuchten und Berühmtheiten wie Mies van der Rohe oder Le Corbusier im Auftrag von Thonet an ihrer persönlichen Variante der Stahlrohrverwendung arbeiteten

Diesen Kaffeehausstuhl hat jeder schon mal zu Gesicht bekommen: Schlichte Holzbeine, Sitzgitter und ein massiv gebogener Rahmen. Nummer 14 von Thonet ist ein Klassiker des Industriedesigns – und das bereits seit 1859. Vorher waren Stühle etwas für aufwendige Handarbeit. Dann erfand der deutsche Tischlermeister Michael Thonet in Wien ein innovatives Verfahren, Holz und Wasserdampf in geschwungene Formen zu biegen.

Das Ergebnis war ein Leichtgewicht für den alltäglichen Gebrauch, das sich dank mechanisierter Produktionsmethoden preisgünstig für die ganze Welt in Serie herstellen ließ. Bereits 1891 betrug die Anzahl verkaufter Stühle der ikonischen Nummer 14 über 7 Millionen Stück. Gefragt waren Möbel von Thonet, ob Tische, Sessel, Liegen oder Garderoben, selbst in Nord- und Südamerika, nicht zuletzt auch, weil sie, zerlegt in kleine Teile, leichter zu verschicken waren. Bis zu 60 Stühle etwa konnten so Platz in einer einzigen Kiste finden.

Bis 1868, als das Patent ablief, stieg Thonet in nur zwölf Jahren zum Weltmarktführer in der Sparte Bugholzmöbel auf. Welche Schritte hin zu einem Imperium nötig waren, skizziert die Ausstellung, entstanden aus Anlass des zweihundertjährigen Firmenjubiläums, chronologisch nach und sortiert ihre Unmengen an Schaukelstühlen, Wiegen und Parkettmustertafeln nach thematischen Gruppen. Freischwinger und Gartensessel sind ebenso dabei wie Versionen aus Bambus oder Plastik. Es geht um materialtechnologische Entwicklungen, aber auch um Affinitäten zu den Meisterstücken anderer Designer.

Kurator Sebastian Hackenschmidt hat sich den deutschen Experten Wolfgang Thillmann an die Seite geholt, der selbst Thonet-Möbel über Jahrzehnte gesammelt, restauriert und auch über ihre Entwicklung geforscht hat. Der „Thonetologe“ ist sich sicher: „Diese Ausstellung wird in dieser Form weltweit nie wieder zu sehen sein. Hier wurden Objekte aus verschiedenen Sammlungen zusammengetragen. Dass wir all diese Stücke erhalten haben, ist dem Renommee des MAK geschuldet“.

Die über 240 Möbel, viele aus der hauseigenen Sammlung, posieren auf geschwungenen Podesten und zwischen hölzernen Bögen. Unter ihnen zeigt ein Steckbrief den Namen, das Entstehungsjahr oder das Material an. „Wir wollten eine gewisse Fließbandästhetik schaffen. Schließlich ist die Fabrik, das, was das Thonet-Imperium ermöglicht und begründet hat“, so Hackenschmidt.

Man erfährt, dass sich auch Architekten wie Otto Wagner oder Josef Hoffmann an Bugholzmöbeln versuchten. Adolf Loos fasste seine Begeisterung etwas pathetisch zusammen: „Siehe den Thonetsessel! Ist er nicht aus demselben Geiste heraus geboren, aus dem der griechische Stuhl mit den gebogenen Füßen und der Rückenlehne entstanden ist, schmucklos das Sitzen einer Zeit verkörpernd?“ Und ein Marcel Breuer ließ sich am Bauhaus in Dessau von der Methode für seine Stahlrohrmöbel inspirieren.

Andere Berühmtheiten, wie Mies van der Rohe oder Le Corbusier, arbeiteten im Auftrag von Thonet an ihrer persönlichen Variante der Stahlrohrverwendung, vielleicht auch, weil es an nachahmenden Konkurrenten mangelte. Thonet hatte bis in die 1930er Jahre die meisten aufgekauft. Die Stühle von heute schließen wieder an die Objekte aus der Frühzeit des Unternehmens an. Eine zeitliche Schleife, die man nicht unbedingt erwartet hätte, die aber zeigt, dass sich eine perfekte Form niemals überlebt.

„Bugholz, vielschichtig. Thonet und das moderne Möbeldesign“, MAK, Stubenring 5, A-1010 Wien, bis 13. April 2020

 

Architekten wie Otto Wagner oder Josef Hoffmann versuchten sich an Bugholzmöbeln. Berühmtheiten wie Mies van der Rohe oder Le Corbusier arbeiteten im Auftrag von Thonet an ihrer persönlichen Variante der Stahlrohrverwendung. Ausstellungsansicht der Thonet-Schau im MAK, Wien. Foto: MAK/Georg Mayer
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